Leitbild
"Nachhaltige Entwicklung" ist ein Prozess der gesellschaftlichen
Veränderung. Sie ist dann erreicht, wenn sie "die Bedürfnisse der Gegenwart
befriedigt, ohne zu riskieren, das künftige Generationen ihre eigenen
Bedürfnisse nicht befriedigen können" (Hauff 1987: 46). Ziel ist es somit, die
Lebenssituation der heutigen Generation zu verbessern und gleichzeitig eine
Gefährdung der Lebenschancen späterer Generationen zu verhindern (Grunwald,
Kopfmüller 2006: 7). Daraus wird
ersichtlich, dass es sich um ein "gesellschaftlich-politisches und damit
normatives Leitbild" (Grunwald, Kopfmüller 2006: 7) handelt.
Der Gerechtigkeitsgedanke ist fundamental für das Konzept der "nachhaltigen Entwicklung". Dies zeigt sich in der Übernahme von Verantwortung für spätere Generationen, als auch im Vorhandensein einer Verteilungsgerechtigkeit bezüglich den Chancen zur Bedürfnisbefriedigung unter den heute Lebenden (Grunwald, Kopfmüller 2006: 7).
Das Wirtschaftswachstum ist eng verknüpft mit der Nachhaltigkeitswissenschaft. Es beschreibt die wertmässige Zunahme an Güter und Dienstleistungen in einem Jahr und wird mehrheitlich als essentiell für den Bestand einer Volkswirtschaft angesehen, womit sich der Wohlstand, die Sozialsysteme usw. finanzieren lassen (Grunwald, Kopfmüller 2006: 71, 72). Das heutige Wachstum geht aber durch dessen Naturverbrauch auf Kosten der Umwelt (Grunwald, Kopfmüller 2006: 73). Die natürlichen Ressourcen sind aber begrenzt, ebenso die Verarbeitungsmöglichkeiten der Ökosysteme (Grunwald, Kopfmüller 2006: 73). Deshalb werden Forderungen nach einer Entkoppelung zwischen Wirtschaftsleistung und Umweltverbrauch oder sogar nach einem Nullwachstum laut (Grunwald, Kopfmüller 2006: 75).
Man unterscheidet zwischen einer starken und einer schwachen Nachhaltigkeit. Die Ressourcen für die Entwicklung der Menschheit und zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse werden in Kapitalarten eingeteilt: Natürliches (Luft, Boden, Biodiversität, Rohstoffe usw.) und künstliches Kapital (Maschinen, Wissen usw.). Soll die Summe der Kapitalarten für zukünftige Geborene erhalten werden, spricht man von schwacher Nachhaltigkeit. Die Kapitalarten sind dabei substituierbar. Muss jede Kapitalart für sich erhalten werden, spricht man hingegen von starker Nachhaltigkeit. In der Realität kann keines der Extreme realisiert werden, sodass eine mittlere Position gefunden werden muss (Grunwald, Kopfmüller 2006: 37, 38).
Der Begriff der Nachhaltigkeit ist in seiner Komplexität nur schwer durchschaubar. So lässt sich das Konzept auf verschiedene Weisen definieren. Einerseits kann "Nachhaltige Entwicklung" mit einem 1-Säulen oder Mehrsäulenprinzip (3 Säulen) beschrieben werden, andererseits auch mittels einer integrativen Betrachtungsweise.
3 Dimensionen lassen sich hauptsächlich unterscheiden: Die Ökologische, die Ökonomische sowie die Soziale. Beim 1-Säulenprinzip hat die Ökologie Vorrang vor allen anderen Dimensionen (Grunwald, Kopfmüller 2006: 41).
Beim 3-Säulenprinzip sind die Ökologische, Ökonomische und Soziale Dimension gleich berechtigt (Grunwald, Kopfmüller 2006: 46 - 50). Die politisch-institutionelle Dimension gesellt sich als 4. Dimension hinzu, da es zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele einer politischen oder anderweitigen Steuerung bedingt (Grunwald, Kopfmüller 2006: 50).
Das integrative Nachhaltigkeitskonzept wurde aufgrund der Erkenntnis der Unmöglichkeit einer voneinander getrennten Behandlung der 3 Dimensionen entwickelt (Grunwald, Kopfmüller 2006: 52, 53). Dabei wird nach einzuhaltenden Mindestbedingungen gefragt. Die "Sicherung der menschlichen Existenz, die Erhaltung des gesellschaftlichen Produktivpotentials" (Grunwald, Kopfmüller 2006: 55) sowie "die Bewahrung der gesellschaftlichen Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten der Gesellschaft" (Grunwald, Kopfmüller 2006: 55) stehen im Zentrum. Ebenso instrumentelle Regeln zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung (Grunwald, Kopfmüller 2006: 57).
Nachhaltigkeitsanalysen werden mit einem Indikatorensystem vorgenommen. Mit ihnen werden die heutige Situation, Trends sowie Fehlentwicklungen erfasst. Sie dienen ebenfalls als Erfolgskontrolle von Massnahmen. (Grunwald, Kopfmüller 2006: 59 - 65)
Quellen:
Grunwald Armin, Kopfmüller Jürgen, Nachhaltigkeit, 2006
Hauff Volker, Unsere gemeinsame Zukunft. Der
Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven, 1987
Entwicklungsgeschichte
Zur Entwicklung dieses Leitbildes sei gesagt, dass es über einen längeren Zeitraum nur eine untergeordnete Rolle spielte, ehe es breite Beachtung fand. In der Klassik nahm die Tragekapazität der Natur Einzug in die Arbeiten von Ricardo und Malthus, ehe sie alsbald wieder in Vergessenheit geriet. (Grunwald, Kopfmüller 2006: 15)
Ausserhalb des wissenschaftlichen Bereichs wurde der Begriff der Nachhaltigkeit erstmals für die Forstwirtschaft verwendet, wo die Kapitalerhaltung des Waldbestandes im Fokus stand. Es sollen über einen bestimmten Zeitraum nur so viele Bäume gefällt werden, wie auch nachwachsen können. Später nahm er auch in der Fischerei Einzug, wobei ebenfalls die Erhaltung, hier eines Fischbestandes, das zentrale Anliegen war. Man soll von den Erträgen einer Substanz leben und nicht von der Substanz selbst. Man spricht von einem dauerhaft maximal möglichen Ertrag (maximum sustainable yield) aus dem Bestand. (Grunwald, Kopfmüller 2006: 14)
In den 60er und 70er Jahren rückte die Ressourcenfrage mit dem Bericht des Club of Rome (1972) über die Grenzen des Wachstums vermehrt ins Zentrum. Vornehmlich die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Lebens- und Produktionsstilen, dem Wirtschaftswachstum und der Verfügbarkeit von Ressourcen. Zu dieser Zeit nahm auch die Umweltbelastung verstärkt zu. (Grunwald, Kopfmüller 2006: 16, 17)
Die "World Conservation Strategy" (1980) brachte den Begriff der Nachhaltigkeit stärker ins Bewusstsein, hauptsächlich im wissenschaftlichen Bereich. (Grunwald, Kopfmüller 2006: 18)
In den 80er Jahren gab es einen Paradigmenwechsel, die Betrachtungsweise verschob sich von der Ressourcenproblematik hin zur Senkenproblematik. Nun war nicht mehr die Knappheit der Ressourcen, sondern die Beschränktheit der Aufnahmekapazität der Erde für menschliche Abfallstoffe (z.B. Abgase) in den Vordergrund gerückt. (Grunwald, Kopfmüller 2006: 18)
1987 wurde der Brundtland-Bericht der UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung unter dem Titel "Unsere gemeinsame Zukunft" veröffentlicht. Drei Grundprinzipien waren vorherrschend: die globale Perspektive, die untrennbare Verknüpfung zwischen Umwelt- und Entwicklungsaspekten sowie die Gerechtigkeit (intra- und intergenerativ). Damit wurde eine normativ-moralische Perspektive in das Nachhaltigkeitskonzept integriert. (Grunwald, Kopfmüller 2006: 21)
1992 fand in Rio eine UNCED-Konferenz statt, deren Arbeit in der Rio-Deklaration und der Agenda 21 gipfelte. Die Rio-Deklaration beinhaltet entwicklungs- und umweltpolitische Grundprinzipien. In der Agenda 21 wurde ein Aktionsprogramm für Ziele, Massnahmen und Instrumente zur Umsetzung des Leitbildes festgelegt. Die Commission of Sustainable Development (CSD) wurde als Institution oder Forum auf UN-Ebene ins Leben gerufen, deren Aufgabe es war die Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung in den Staaten zu beobachten, zu fördern und zu evaluieren. Im Rio-Folgeprozess sollen Nachhaltigkeitsstrategien entwickelt und ausgetestet, sowie deren Umsetzung aufgezeigt werden. (Grunwald, Kopfmüller 2006: 22 - 25)
2002 wurde der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg abgehalten. Das Ergebnis war ein Aktionsplan zur Problemlösung, vor allem in den Bereichen Umweltschutz und Armutsbekämpfung. (Grunwald, Kopfmüller 2006: 25)
2012 fand in Rio die Nachfolgekonferenz Rio +20 statt. Im Abschlussdokument wurden verschiedene Massnahmen definiert. Die Rio-Richtlinien von 1992 wurden bestätigt. Die Wirtschaft soll auf einer nachhaltigen Entwicklung basieren (Green Economy) und das Leitbild soll in die politischen Systeme der UN-Mitglieder eingebunden werden. Das Umweltprogramm UNEP wird zu einer vollwertigen UN-Agentur aufgewertet. (UN Rio+20, The Future We Want, 2012)
Quellen:
Kopfmüller Jürgen et al., Nachhaltige Entwicklung integrativ betrachtet, 2001
UN Rio+20, The Future We Want, 2012