zurück E-Mail

PS: hinter den Hyperlinks verstecken sich Bilder, mehr USA-Bilder gibt es hier

Eldorado der Endurofahrer

Ein Wochenende im Canyonlands National Park

(abgedruckt im Moto Sport Schweiz, 25. März 1986)

Auf einem Schild steht, dass der Ranger in einer Viertelstunde zurück sein wird. Also warte ich, denn ohne Campingerlaubnis darf ich im Nationalpark nicht übernachten. Es ist Mittag und die Sonne brennt erbarmungslos auf die wüstenhafte Vegetation. Ich vertreibe die Zeit damit, die kleinen Fliegen zu verscheuchen, die mich zu Dutzenden umschwirren Nur beim Fahren hat man vor ihnen Ruhe. Eine Hitzewelle hat die Temperatur auf gut 40 Grad Celsius getrieben, aber ein Wochenende in der glühenden Wüste ist immer noch besser als die Langeweile in der amerikanischen Kleinstadt, wo ich lebe und wo am Samstag auf dem Rasen vor der Kirche gepicknickt wird.

Jetzt bin ich im Canyonlands National Park, dem Eldorado der Enduro- und Jeep-Fahrer. Vor mir liegt der White Rim Trail, die berühmteste Jeep Strasse der USA: Sie führt 150 km durch wildeste Canyonlandschaften, vorbei an schwindelerregenden Abgründen und bizarren Felsformationen. Endlich kommt der Ranger. Er gibt mir eine Campingerlaubnis und die aktuellsten Strassenzustands-lnformationen, dann geht's los! Gleich zu Beginn fällt die Strasse etwa 50 Meter zur Schlucht hin ab und windet sich dann einen Kilometer weit der Felswand entlang zu einer Stelle, die fast senkrecht runtergeht. Hier treffe ich zwei Chopperfahrer, die neidisch meine Enduro begutachten, weil sie sich mit ihren Strassenkreuzern nicht weitergetrauen.

Ich fahre weiter, verliere in etwa zehn engen Kehren 300 Meter Höhe, dann geht's mitten zwischen Hochebene und Colorado-River weiter. Das erste Stück ist ganz harmlos und fordert noch nicht allzuviel Fahrtechnik. Da komme ich zu einer Abzweigung: Ein Holzschild weist in ein Loch hinunter, nach meiner Karte soll die Piste bis zum Fluss gehen. Also lenke ich meine 600er Suzi vorsichtig über die ersten steilen Schotterpassagen. Das Vorderrad tanzt und das Benzin gluckst im 21-Liter-Tank. Doch bald geht's besser und in gleichmässigem Gefälle verliere ich an Höhe. In der Talsohle angekommen führt die Piste einfach durch das trockene Flussbett. Der feine Sand will das Vorderrad verschlucken, aber ich bleibe am Gas und drifte im Slalom zwischen den grossen Felsbrocken hindurch. Die Hitze wird langsam unerträglich und dazu kommt kurz vor dem Fluss auch noch die Feuchtigkeit. Als ich den Fluss erreiche, brauche ich nicht lange, um mich im kühlen Wasser zu erfrischen. Dass ich keine Badehose habe, stört nicht; meine einzige Gesellschaft sind ein paar Krähen. Nach einer guten Stunde Baden schwinge ich mich wieder in den Sattel und fahre zurück auf die Hauptpiste. Schon bevor ich sie erreiche, beginne ich wieder zu schwitzen, denn es ist eine rechte Plackerei, die schwere 600er mit dem ganzen Campinggepäck durch die engen und steilen, mit faust- bis kopfgrossen Steinen gefüllten Spitzkehren zu lenken.

Oben angelangt, drehe ich ein bisschen am Gasgriff und lasse mich vom Fahrtwind kühlen. Hier oben sind dank der geringen Luftfeuchtigkeit von 5 % auch Temperaturen über 40 Grad gut zu ertragen - solange man fährt. Ich komme an mehreren Stellen vorbei, wo direkt neben der Strasse, ohne Abschrankung, Abründe von 100 und 200 Metern gähnen. Einmal krieche ich zum Rand und stelle fest, dass die Felswand überhängend ist. Auf dem heissen Boden verbrenne ich mir Bauch und Hände. Danach genehmige ich mir einen kräftigen Schluck lauwarmes Wasser. Und da geschieht es, der Alptraum aller Wüstenfahrer: Die 4-Liter-Wasserflasche rutscht mir aus den Händen! Obwohl ich sie blitzschnell wieder aufnehme, sind doch schon zwei bis drei Deziliter ausgeflossen. Noch bevor ich alles Gepäck wieder befestigt habe und losfahren kann, ist die Stelle am Boden schon wieder trocken.

Vorbei am Monument Basin, wo dünne Felspfeiler über 100 Meter hoch stehen, und mehreren spektakulären Aussichtspunkten, die Rundumblicke in die Canyons des Colorado und des Green Rivers bieten, nähere ich mich dem Murphy Hogback. Das ist ein steiler Felsrücken, der frei in der Ebene steht, und der einzige Weg führt darüber. Die Strasse pfeilt einfach schräg den Hang hinauf, ist steil und steinig und mit Schlaglöchern durchsetzt, so dass ich zügig fahren muss, um nicht steckenzubleiben. Einmal mehr tanzt das Vorderrad hin und her. Links geht eine steile Geröllhalde hinunter, rechts ist die Felswand.

Als ich oben bin, sagt mir ein Jeepfahrer, der mich beobachtet hat, er hätte nicht den Mut, mit einem Motorrad da raufzufahren. Ich beruhige ihn und erzähle vom Elephant Hill, wo ich alles Gepäck abladen musste, um hinaufzukommen. Und auch vom Lockhart Basin Trail, wo ich mit Steinen eine Rampe bauen musste, um eine über 1 m hohe Stufe zu überwinden, vom Bobbys Hole, wo unten eine Tafel steht, man solle die Strecke zuerst per Fuss inspizieren, bevor man sie fährt, vom S.O.B. Hill, wo einer an einer Felswand seinen ganzen Campingaufbau vom Pick-up abgestreift hat und vom Salt Creek, wo einer mit seinem 4x4 Pick-up im Sand steckengeblieben ist, beide Kardanwellen abgewürgt hat und für das Abschleppen 560 Dollar hinblättern musste. Darauf steigt er wortlos in den Jeep und lenkt vorsichtig die Strasse auf der andern Seite des Hügels wieder hinunter. Hier ist es noch steiler und hat erst noch Kurven, dafur liegen keine Steinbrocken auf dem Weg. Ich überhole den Jeep bald und lasse ihn soweit zurück, dass ich ihn nur noch als kleines helles Fleckchen zwischen den dunkelbraunen Felsen ausmachen kann. Immer mehr Schlaglöcher, steile Auf- und Abfahrten und Geröll auf der Piste zwingen mich zu langsamerem Fahren.

Mein Trinkwasser ist schon fast zu heiss zum Trinken, aber langsam brennt die Sonne nicht mehr so. Wieder komme ich zu einer Verzweigung, die zum "Queen Anne Bottom" weist; dieser Weg ist nicht auf der Karte eingezeichnet. Da ich bis zum Abend noch genügend Zeit für Erkundungstrips habe, fahre ich trotzdem hinunter. Vielleicht kann ich da wieder baden.

Die Piste unterscheidet sich nur durch die schwarzen Pneuspuren an den allergrössten Felsbrocken und an den steilsten Passagen von einem trockenen Flussbett. Ich beginne mich schon zu fragen, ob ich da wieder hinauflkomme, ohne das Gepäck abzuladen, da fahre ich auch schon über ein treppenartiges Stück Weg, dann über ein Geröllfeld und bin im flachen Sand auf der Höhe des Flusses angekommen. Nun ist die Fahrspur dem Gebüsch abgerungen; die Vegetation wuchert von beiden Seiten darüber. Ich lege mich ganz auf den Tankrucksack, trotzdem schlagen mir Äste an den Helm und zerkratzen meine nackten Arme. Plötzlich komme ich auf einen kleinen Platz, die Fahrspur ist zu Ende, vom Fluss oder einem Ausweg ist weit und breit nichts zu sehen. Das Gebüsch ist so dicht, dass ich mir jeden weiteren Meter erkämpfen müsste. Also kehre ich um und verschiebe meine Badepläne auf später. Ich komme wieder zum Geröllfeld und verliere so viel Tempo, dass ich die anschliessende "Treppe" mit eingebauter Kurve nicht fahrend bewältigen kann. Also steige ich ab, stütze das Motorrad von der Seite und arbeite mich mit wenig Gas und schleifender Kupplung Stufe um Stufe aufwärts. Oben angekommen, fliesst der Schweiss in Bächen. Nach einem Schluck Wasser, an dem ich mir fast die Zunge verbrenne, kann ich im Fahrtwind wieder abkühlen.

Jetzt fällt die Piste allmählich zum Fluss ab. Die Abendsonne taucht die Landschaft in ein warmes Licht und zeichnet eine leuchtende goldene Strasse auf den ruhig dahinfliessenden Green River. Ich bummle die letzten Kilometer bis zum Zeltplatz und geniesse die langsam kühler werdende Luft und den Blick auf den fünfzig Meter unter mir fliessenden Fluss und die fremdartig anmutende Canyonlandschaft. Der Zeltplatz ist eigentlich gar kein Zeltplatz, sondern es sind vier einzelne Plätzchen mit ein paar Bäumen für Schatten und einer Feuerstelle. Ausser mir ist niemand da, aber das macht keinen Unterschied: Die vier Plätze sind nämlich je einen halben Kilometer auseinander! Da mein Wunsch nach einem Sprung ins Wasser langsam zur Manie wird, schlage ich mich durch die Büsche und schwimme wieder eine halbe Stunde. Gerade als ich zurückkomme, fährt der Jeep vom Murphy Hogback vorbei. Sonst habe ich auf der zweiten Hälfte des Weges keinen Menschen gesehen.

Die Mücken haben scheinbar auch keinen anderen Menschen gesehen, jedentalls kommen alle zu mir. Am Morgen zähle ich am linken Arm 25 Stiche, aber die frische Morgenluft kühlt die Haut beim Fahren. Nochmals geht es eine Stunde lang immer rauf und runter, dann fahre ich noch zehn Kilometer direkt dem Fluss entlang. Zum Abschluss steigt die Strasse in haarsträubenden Kehren 300 Meter zur Hochebene hinauf. Etwa zehn Autowracks liegen zertrümmert in diesem Hang. Oben verleitet mich die grösstenteils gute Kiesstrasse zu schnellem Fahren. Doch regelmässig tun sich vor mir tiefe Schlaglöcher auf, das beansprucht meine Aufmerksamkeit und die Scheibenbremse am Vorderrad sehr. Aber ich lasse die Muskeln der 600er spielen um möglichst schnell auf die nächste interessante Wüstenpiste zu kommen.

Zwischen hier und dem Städtchen Green River, wo ich wieder auf die Autobahn treffen werde, ist die Karte voll von gestrichelten Linien, was zwei Sachen bedeutet: Phantastisches Endurofahren und völlige Einsamkeit. Ich wähle eine Route aus, bei der die gestrichelte Linie genau am Fluss endet und freue mich schon auf mein drittes Bad an diesem Wochenende. Zuerst fahre ich etwa eine Stunde lang über mehr oder weniger gute Naturstrassen, so gerade richtig zum Geniessen. Dann geht's zehn Kilometer durch tiefen lockeren Sand. Die Sonne steht schon wieder hoch am Himmel und ich bemerke, dass die Arme schon ganz rot sind, obwohl sie vorher schon gut gebräunt waren. Also fahre ich im Pullover weiter. Nach dem Tiefsand kommen flache Felsplatten, die das Erkennen der richtigen Fahrspur ungeheuer erschweren. Manchmal muss ich kreuz und quer suchen, bis ich in einer sandigen Stelle wieder Jeepspuren finde .

Plötzlich komme ich zu einem 400 Meter tiefen Abgrund, unten ist der Fluss, von Strasse aber weit und breit nichts zu sehen. Aus dem Baden wird diesmal nichts. Also zurück auf dem gleichen Weg. Später komme ich an einer Farm vorbei. Riesige Felder werden bewässert, aber auch hier ist kein Mensch zu sehen.

Am frühen Nachmittag erreiche ich Green River. Vor einem Schnellimbiss-Restaurant wirft ein kleines Vordach ein bisschen Schatten. Mit quietschenden Reifen komme ich darunter zu stehen. Gleich daneben stehen zwei typisch amerikanische Motorradfahrer: Lange strähnige Haare, Rauschebart, schmutzige Jeans, kein Helm, dunkle Sonnenbrille und der Schlafsack ist an der Gabel über dem vorderen Schutzblech befestigt. Ich hole meine Wasserflasche hervor, drei Deziliter sind noch übrig, und giesse mir einen Spritzer über den Nacken. Aber ich zucke zusammen, das Wasser ist so heiss, dass es mich brennt. Im Supermarkt, der auch im abgelegensten Wüstenkaff nicht fehlt, erfrische ich mich mit eiskaltem Büchsen-Cola und einer Glace. Nachher fülle ich wieder mal den Benzintank. Dank seiner Grösse ist das nur alle 500 Kilometer nötig, auf vielen Strassen dieser Gegend käme man mit einem kleineren Tank gar nicht durch. Dank dem satten Drehmoment der Suzi brauche ich nie mehr als vier Liter auf 100 km, mache also 60 Meilen pro Gallone, wie der Amerikaner sagt.

Und schon wieder stürze ich mich in Helm, Sonnenbrille und Handschuhe und nehme die nächsten 150 km durch flache Wüste unter die Räder. Die ganze Zeit sehe ich die Wasatch Mountains vor mir, sie erstrecken sich über den ganzen Horizont. Links kann ich die Henry Mountains ausmachen, die 200 km entfernt, aber dank der klaren und trockenen Luft noch deutlich zu sehen sind. Da mir die stundenlange Geradeausfahrerei auf der Asphaltstrasse zu öde weird, biege ich links ab und durchquere auf abwechslungsreichen Kiessstrassen das hügelige Gebiet nördlich vom San Rafael Swell. In dieser Gegend habe ich auch schon zwei Wochenenden verbracht, auf einem Gebiet, das grösser als der Kanton Graubünden ist, jedoch nur 70 km geteerte Strassen hat. Daneben existieren schätzungsweise 2000 km Naturstrassen in jedem Schwierigkeitsgrad, von gemütlicher Kiesstrasse bis 30 km langer Trialsektion. Nach einer unübersichtlichen Kurve kommen mir vier Honda-Dreiräder im Formationsflug quer über die ganze Strasse entgegen. Da ich gerade schön am Driften bin, bereitet es mir einige Mühe, einen Zusammenstoss zu vermeiden. Die Hobbycrosser reagieren erst noch entgegen allen Verkehrsregeln und weichen auf die falsche Seite aus! Hier dürfen sogar Kinder mit Vollcrossmaschinen auf öffentlichen Strassen verkehren, solange diese nicht geteert sind!

Schon bald erreiche ich Huntington, dahinter beginnen die Berge. Eine gute Strasse mit vielen schönen Kurven führt ein dicht bewaldetes Tal hoch. Die Temperatur fällt rapide und schon nach wenigen Kilometern ziehe ich die Jacke an. Überall sind Fischer und Picknicker, die auch der brütenden Hitze der Ebene entflohen sind. Weiter oben erstrecken sich mehrere Stauseen, die der Flutregulierung bei der Schneeschmelze und in den trockenen Sommermonaten zur Bewässerung dienen. Bis auf 3000 Meter über Meer führt der Pass hinauf. Oben zweigt der Skyline Drive ab, der auf einer Länge von 150 km auf oder nahe dem Grat in 2700 bis 3300 Metern Höhe verläuft, natürlich alles Naturstrasse. Von da geniesst man eine wunderbare Aussicht: Links sieht man hunderte von Kilometern über das Vorgebirge und den San Rafael Swell und rechts weit über mehrere Hügelketten bis zur grossen Salzwüste!

Da ich noch ein wenig Zeit habe, bevor ich mich endgültig auf den Heimweg machen muss, nehme ich die Piste schnell in Angriff. Die ersten paar Kilometer liefern noch kein Problem, dann aber ist die Strasse auf der ganzen Breite von 20 Zentimeter tiefen Spurrinnen zerfurcht. Nach einem weiteren Stück wird es bereits nass und schlammig. Jetzt ist klar, wo die Spurrinnen herkommen. Um nicht im Sumpf in den Rinnen fahren zu müssen, balanciere ich öfters über 10 Zentimeter breite Grate zwischen den Rinnen. Diese spannende Beschäftigung wird aber bald beendet, ich bleibe nämlich im Schnee stecken. Den Rest vom Skyline Drive werde ich später im Sommer mal bewältigen...

Auf dem Rückweg treffe ich einen Honda-Dreirad-Fahrer. Auf die Frage, ob so ein Fahrzeug bequem sei, meint er, es sei besser als ein Schaukelstuhl. Er erzählt mir, er sei schon über siebzig, und er sei vor zwei Jahren allein mit einer Enduro zum Polarkreis gefahren. Jetzt hat er die Kraft nicht mehr, um ein Motorrad zu lenken, aber für einen 3-Wheeler reiche es noch alleweil. Nachdem wir uns noch eine Weile über verschiedene Enduro-Routen unterhalten haben, mache ich mich auf den Heimweg. Ich geniesse die zahlreichen schön geschwungenen Kurven auf der anderen Seite des Passes. Zum Abschluss folgt dann die langweilige Stunde Rückfahrt auf auf der Landstrasse bei 88 Stundenkilometern... Links von mir liegt die "Little Sahara", wo hundert Quadratkilometer Sanddünen für Geländefahrer reserviert sind. Davon träume ich, bis ich bei einbrechender Dunkelheit zu Hause ankomme.



Mitglied des Webrings '1001 Reiseberichte aus aller Welt'
Mehr Besucher auf Ihrer Seite!


Wollen Sie beim Webring mitmachen?