Interview mit Albert Hofmann

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Der Mensch weiß im Grunde genommen, was Gut und Böse ist.

Lutz Redecker: Einsichten und Ausblicke lautet der Titel Ihrer zuletzt veröffentlichten Schrift. Ist die Einsicht eine Bedingung für den Ausblick?

Albert Hofmann: Ja sicher. Ich glaube das alles anfängt mit Einblick. Das Neugeborene versucht die Sinne zu koordinieren, baut sich sodann ein Weltbild auf, das wir als eine Art Einsicht durch Wahrnehmung bezeichnen. Durch Wahrnehmung baut sich unser Bewußtsein auf - unsere Persönlich-keits-Wahrnehmung ist die Fähigkeit zur Einsicht.

L.R.: Wie erklären Sie Sehen aus naturwissenschaftlicher Hinsicht?

A.H.: Sehen ist etwas ganz Wunderbares, das wir ja garnicht erklären können. Sehen kann man naturwissenschaftlich nicht erklären, doch Sehen ist etwas nicht nur Sinnliches.

L.R: Die neue Wissenschaft hat ein Feld erreicht, das jenseits von Materialismus und Emperie liegt. Carl Friedrich von Weizsäcker widerspricht der titanenhaften Einäugigkeit der messenden Naturforschung, wenn er bekennt "Ohne Meditation ist die Reflexion vergeblich” - ist Einsicht durch Meditation unwissenschaftlich?

A.H.: Nein. Meditation heisst offen zu sein für die Ganzheit; sie besteht in einem vertieften, erkennenden Eindringen um das Ganze zusammenhängend zu sehen. Um der grossen Zusammenhänge gewahr zu werden bedarf es der Stille und Offenheit - mit dem Denken kann ich nur die einzelnen kleinen Zusammenhänge koordinieren. Die Naturwissenschaft befasst sich immer nur mit der materiellen Seite, ihr Gegenstand ist Materie und Energie - und nicht die Sinnfrage. Das wissenschaftliche Weltbild beinhaltet nur die Hälfte der Wirklichkeit, nur ihren materiellen quantifizierbaren Teil. Alle physikalisch und chemisch nicht fassbaren, geistigen Dimensionen der Wirklichkeit, zu denen die wesentlichen Merkmale des Lebendigen gehören, fehlen.

L.R: Kann die interdisziplinäre Verbindung mit den Geisteswissenschaften einen Ausweg aus diesem Dilemma bewirken?

A.H.: Sicherlich. Die naturwissenschaftlichen Ergebnisse sind ja immer nur Beschreibung, nicht Erklärung. Wenn ich die zu Ende denke, komme ich immer an einen Punkt, der nicht weiter erklärbar ist. Man beschränkt sich auf die materiellen Befunde und die Sinnfrage lässt man ausser Spiel.

L.R.: Das Bestreben diesen Dualismus zu überwinden ist nicht ganz neu. Sowohl christliche, als auch östliche Uberlieferung sprechen hier von der Unio Mystica, dem kosmischen Bewußtsein. Ist unser "dunkles, bewußtloses Prinzip”(Schelling) fassbar?

A.H.: Die mystische Schau ist keine Sinnestäuschung, sondern lediglich die Offenbarung eines anderen Aspekts der Wirklichkeit. Der Mystiker ist sich lediglich, simultan zur objektiven Welt, eines unendlich erweiterten äusseren und inneren Universums bewußt. Wie die objektive Welt auf das einzelne Subjekt wirkt, das ist ganz individuell. Wenn man den Prozess der Wahrnehmung analysiert, erkennt man, daß die Zahl der inneren geistigen Welten so groß wie die der Individuen ist. Jeder Mensch ist der Schöpfer seiner eigenen Welt, denn einzig und allein in ihm wird die Erde und all das bunte Leben Wirklichkeit.

L.R.: Und Schöpfer seiner Begrenzungen ...

A.H: In der - nennen wir sie kosmogonischen Fähigkeit - die eigene Welt sich zu erschaffen, liegt die Verantwortung und Freiheit des Individuums. Wenn wir erkannt haben, was objektiv aussen ist, und was subjektiv in uns geschieht, ist es uns möglich verantwortlich zu reagieren, wo die Wahl besteht; wir können das, was außerhalb unseres Willens liegt als unveränderlich hinnehmen. Wir können lernen, enttäuscht sein, und uns freuen. Wir haben eine Verantwortung. Das macht unsere Tragik aus, aber auch unseren Reichtum. Der Mensch weiß im Grunde genommen, was Gut und Böse ist.

L.R.: Welches sind die Parameter, die dieser Bestimmung dienen?

A. H.: Es gibt den Schmerz und die Lust. Alles, was den Schmerz erzeugt sollen wir meiden. Naturwissenschaftlich gibt es keinen Schmerz - er ist eine rein psychische Sache. Das Kind lernt. Weil es Schmerz empfindet darf es nicht ins Feuer gehen mit der Hand. So schützt sich die Natur - sonst würde man sich quälen, ohne zu merken, daß man sich Schaden antut. Schmerz, psychisches Leiden, Depressionen zeigen im weitesten Sinne an "Meide das, da stimmt etwas nicht". Alles hingegen was Lust ist, das will das Leben; angefangen bei der Urlust sinnlicher Befriedigung zur Zeugung von Leben. Lust und Freude sind Wegweiser. Wenn wir etwas machen, was der Natur passt, erfahren wir Lust - wenn wir etwas gegen die Natur machen sind wir unglücklich. Wir handeln heute gegen die Natur.

L.R: Und konfrontieren mit dem Ergebnis unserer Lust am fort-schreiten alles Lebendige dieses Planeten. Ist nicht gerade die gegenwärtige Genußsucht auf dem Prinzip des Lustgewinns aufgebaut, das im Begriff ist sich ad absurdum zu führen?

A.H.: Die Menschen sind ja auch unglücklich bei all der Lustsuche. Das oben erwähnte Prinzip ist weder angewandt noch verstanden; bereits Aristoteles befand das rechte Maß als entscheidend.

L.R: Ein immer wieder kehrender Gedanke in ihrem Buch betrifft die Zielgerichtetheit allen Seins, ähnlich der Urzelle, die einem Bauplan folgt.

A.H.: Jedes höhere Ergebnis ist das Ergebnis eines Plans, denn wenn kein Plan da ist, ist Chaos. Wo keine planende Kraft da ist, fällt alles auf Null wieder zurück. Es besteht ein Gesetz, ein geistiges Prinzip, das über das menschliche Wollen und Streben hinausgeht. Wir sind mit unserem Plan eingeplant.

L.R.: Und das Individuum?

A.H.: Muß das machen, was ihm wohl bekommt. Jeder Mensch hat eine Aubgabe, die ihm Erfüllung gibt. Hier wird die Verpflichtung jedes einzelnen Menschen zur Arbeit an sich selber als Naturgesetz - als metaphysische Offenbarung sichtbar - die Verpflichtung, die verliehenen Fähigkeiten zu vervollkommnen und so als an der Schöpfung teilhabendes Wesen seine Aufgabe zu erfüllen. Im Prinzip zeigt auch hier die Natur uns immer wieder den Weg. Was dem Individuum schadet, schadet auch der Menschheit.

L.R: Der Philosoph Titus Burckhardt behauptete einmal, daß es zum Wesen der modernen Naturwissenschaft gehöre, daß sie nicht weiß, wohin sie ihre Entdeckungen tragen werden, weder in geistiger, noch in technischer Hinsicht. Was denken Sie?

A.H.: Das ist nicht Sache der Naturwissenschaft, das ist Sache der Philosophie. Doch man kann hier nicht trennen, denn der Naturwissenschaftler ist auch ein Mensch der denkt, der eine Weltanschauung hat.

L.R: Wohin führt uns das methodische Absehen vom Menschen als einer umfassenden und unteilbaren Ganzheit?

A.H.: In der jüdisch-christlichen Tradition ist die Erde mit ihrer Natur sozusagen nur wie eine Bühne, auf der der Mensch lebt und von wo er mit einem im Himmel thronenden, richtenden Gott Zwiesprache führt. Es besteht keine Einheit von Mensch, Schöpfung und Schöpfer. In anderen Religionen ist die Natur belebt und der Mensch in sie einbezogen. Bei den Griechen war jeder Baum belebt, in jeder Quelle lebte eine Nymphe. Der Dualismus von Mensch und Natur, mit dem fürchterlichen Gebot: Macht Euch die Erde untertan, hat zur heutigen geistigen und ökologischen Krise geführt.

L.R.: Und uns weit von einer harmonischen Koexistenz entfernt?

A.H.: Viele Entdeckungen wurden bisher nur zu einem kurzfristigen Nutzen ausgebeutet, das war nicht der Sinn der Naturwissenschaft. Man sagt das das Schiesspulver vor dreitausend Jahren in China erfunden wurde. Und dar war ein Kaiser der sagte, daß es nur für Feuerwerk benutzt werden darf. Uns fehlt ein Kaiser der etwas derart Gescheites sagt und die Macht hat es durchzuführen. Wir müssen Maß und Einheit wiederfinden.

L.R.: Ich danke lhnen für das Gespräch.                       

(3/03, Gaia Media Stiftung: www.gaiamedia.org)

 
Siehe auch Interview mit Ervin Lazlo:  
http://www.gaiamedia.org/content/deutsch/allgemein/main_06_medien.html?
/content/deutsch/templates_06_medien/artikel_macroshift.html
 
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updated: octobre 2011 contact me