Interview mit Oliviero Toscani

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Das Potenzial der Werbung für andere Zwecke nutzen...
Oliviero Toscani ist das enfant terrible der Werbebranche. Seine kreativ-provokanten Spagate zwischen Tabubrüchen, Prämierungen von Kampagnen und gerichtlichen Klagen brachten Benetton Ruhm, Umsatz und astronomische Anwaltskosten. Doch: voir noir ist nicht gefragt, Moraldiskurse und Zivilisationskritik eines erfolgreichen Agenten der Konsumindustrie nicht und schon gar nicht, wenn als Nebeneffekt goldene Dukaten dem Apokryphen vor die Füße fallen. Seit einiger Zeit geht es ohne die große Plattform weiter. Mit neuen Ideen und Photoarbeiten.  Etwa in Japan, Kanada, der Schweiz und einem Zentrum für Kommunikation in Pisa.

Hört Ihr Mobilphone auf Ihre Stimme?
Nein. Ich will mich auf das Wesentliche beschränken.

Ist Werbung nicht überhaupt überflüssig?
Es kommt drauf an, von welchen Kampagnen Sie sprechen. Ich versuche mit einer Serie anderer Werte zu arbeiten und eine bestimmte Form des Fortschritts in Zweifel stellen. Mir ist klar geworden, daß ich nur eine Arbeit verfolgen kann, der ich uneingeschränkt zustimme. Das ist natürlich ein großes Priveleg. Da hat mich die Natur sehr großzügig behandelt.

Wie sollen denn diese Werte aussehen?
Werbung soll ein Angebot an die Phantasie und den Verstand sein. Etwa als Kunst auf Plätzen und anderen angebrachten Orten. Sie kann ein verspielter und provokanter Teil der Medien sein. Und vor allem: Sie kann gegen die Gleichgültigkeit, die durch den ewig süßen Schleim produziert wird, opponieren - provozieren, Diskussionen auslösen und Ängste hinterfragen.

Warum wird Ihnen gelegentlich vorgeworfen, daß Ihre Arbeit nicht aufrecht ist, zumal finanzielle Erfolge eng mit Ihrer Arbeit verbunden sind?
Es ist schwierig innerhalb des Stroms in eine andere Richtung zu gehen, zumal der Strom einen auch voran trägt. Meine Entwürfe und meine Arbeit liegen innerhalb des Systems, aufbauend und zugleich abhängig von den Möglichkeiten. Die Malerei der Renaissance war durchaus kommerziell in ihrer Absicht der uns heute überlieferten großen Kunst – und diente dennoch einer religiösen Ideologie. Hier wird klar, daß das eine ohne das andere nicht existiert.

Was sagt Ihnen persönlich, ob eine Werbung gelungen ist oder nicht?
Zunächst ist das eine Frage der Parameter. Mich erfüllt es mit tiefer Genugtuung, wenn meine Projekte angegriffen werden. Ich will Vorurteile erschüttern und zum Denken zwingen. Die heftigen Reaktionen meiner Gegner sagen mir, daß ich richtig liege.

Aber es ist doch viel schöner, mit der Werbung von einem neuen Auto zu träumen ...
Ja, genauso wie von der Erlösung, die uns versprochen wird, wenn wir dem Versprechen folgen. Die Werbung mit ihren bisweilen dümmlichen Bildern ist der Katechismus der Konsumreligion.

Gefällt es Ihnen, Wirklichkeit zu inszenieren?
Eigentlich diskutiere ich mit dem Publikum. Und dafür suche ich neue Ausdrucksmittel. Inszenierungen bestimmen unser Leben. Religion ist eine Inszenierung. Politik. Moral. Erziehung. Alles, was im allgemeinen akzeptiert wird, ist Inszenierung, das heißt eben auch Täuschung und einseitige Darstellung von Wirklichkeit. Indem ich unterschiedliche Genre zusammenwürfel,  kann ich aber Gewohnheit und Einseitigkeit überwinden und in Frage stellen.

Sie sind ein geradezu manischer Tabubrecher. Ist die Strategie Tabus zu brechen auf der Suche nach immer heftigeren Grenzen gescheitert?
Keineswegs. Alles, was wir nicht wahrnehmen , verstehen und akzeptieren wollen, betrachten wir als nicht anschaubar. Provozieren ist daher ein in das Gedächtnis rufen des Nicht-Anschau-baren. Es hilft mir, neue Perspektiven anzuerkennen.

Gibt es einen Ausstieg aus dem Palio der Medien, durch immer heftigere Stimuli Aufmerksamkeit zu erlangen?
Das läßt sich so nicht sagen. Es kommt auf die Ziele an. In den 40er und 50er Jahren konnten Bilder auch als sehr heftig empfunden werden. Auch ist es eine Frage individueller Wahrnehmung. Bilder sind, genauer betrachtet, die Schatten, die unser Leben konditionieren. Man denke an all die Bilder, die als historisches Gedächtnis arbeiten und zeigen, wozu der Mensch fähig ist; Kriege, Zerstörung, Leid usw. Um derartige Bilder nicht mehr zu erfahren, müssen die menschlichen Dramen erkannt und gelöst werden. So ließen sich nachfolgenden Generationen andere, vielleicht bessere Bilder zeigen. Verschönerung und Styling verdeckt nur, hilft aber nicht weiter. Verstecken bedeutet Heuchelei.

Ist die reale Perversion des medialen Exhibitionismus überhaupt noch zu toppen?
Solange Täuschungen akzeptiert werden,  ja. Die Diktatur der Einschaltquoten beweist das täglich. Es kann alles zurechtgeschnitten werden. Eine zivile Gesellschaft kann erst dann entstehen, wenn mit den realen Bildern der Welt – nicht ihren ästhetisierten Konterfeis - gelebt wird.  

Aber Ihre Arbeiten sind bei allen gezeigten Facetten der Wirklichkeit doch recht
ästhestisch?
Gewiß, aber der tatsächliche Wert eines Produktes hängt von seiner Fähigkeit der Kommunikation ab.

Können überhaupt noch Tabus gebrochen werden?
Nette Frage. Sie werden heutzutage ja nicht nur übernommen, sondern oftmals durch die Gesellschaft geformt. Und erneuert, wenn sie nicht hinterfragt werden.

Ist eine Werbung wie mit Benetton mit einem anderen Träger fortfühbar?
Aber gewiß. Wir sind erst am Beginn. Das heißt an einem Punkt, wo das Potenzial von Werbung für andere Zwecke genutzt werden kann.

Wie stellen Sie sich das Verhältnis von Werbung und Konsum in der nahen Zukunft vor?
Wir sind umgeben von falschen Ikonen. Bereits Michelangelo mußte Madonnen malen, auch wenn er nicht an diese Ikonen geglaubt hat. Das Problem ist, daß Gewohnheiten Notwendigkeiten werden. Diese wiederum sind der entscheidende Beziehungspunkt der ökonomischen Diktatur, die unser Leben bestimmt, da den Zielen des Kapitals alles untergeordnet wird. Das Geld ist nicht mehr ein Mittel, sondern Ziel unserer Existenz. Diesem frenetischen Streben steht eine große Angst, nicht so zu funktionieren, gegenüber. Es wird Zeit, mehr Verantwortung zu ergreifen. Wir umgeben uns überall mit neuen Werten, und jammern zugleich alten Werten nach und klagen, daß diese sich nicht erhalten lassen. Das Problem, das wir hier konfrontieren, ist erst gelöst, wenn Verantwortung nicht mehr an andere Instanzen deligiert wird und eine persönliche Erfahrung der Dinge existiert.

Die Werbung hat heute die Funktion der Kunst übernommen, ästhetische Inhalte ins alltägliche Leben zu vermitteln. Muß daher alles schön werden?
Die Aufgabe der Kunst kann nicht eine fortdauernde Verschönerung sein, sie soll mit Gewohnheiten brechen. Wo alles schön geworden ist, ist nichts mehr schön. Werbung und Kunst müssen Erneuerung der Gesellschaft bewirken und das kann nicht durch Schleimerei geschehen. Die Bilder der Werbung sind heute eine eindrückliche Dokumentation der tieferen menschlichen Probleme, die sich um sie reihen. Der Erfolg des Branding ist unter anderem auch diesem Aspekt zuzuschreiben. Wer nicht mitmacht, wird ausgeschlossen, ist nichts wert.

Und darum sind die ästhetischen Inszenierungen Ihrer Kollegen schlecht?
Sie sind vor allem betäubend, weil sie dumm und kraftlos sind. Es geht darum, eine nicht existierende Harmonie in der Gesellschaft aufrecht zu erhalten und jenen Anerkennung zusprechen, die dieses Spiel mit machen.

Aber Ihre Arbeit sucht auch breite Anerkennung?
Es geht darum, wie ich sagte, Alternativen aufzuzeigen. Zum Denken aufzufordern. Der Fortschritt hat ja nicht nur Dinge leichter gestaltet. Er verkörpert auch Elemente, die nicht kontrollierbar sind. Hier verlieren wir uns, wenn nicht Acht gegeben wird. Die Frage nach den giftigen Pilzen wurde durch ein Probieren beantwortet. Und weil wir körperliche Wesen sind, ist auch trotz Wissenschaft und Informationstechnologie nichts sicher.

Wie lange wird es denn nun dauern, bis die Werbung so intelligent wird, wie sie sich es wünschen?
So schnell es notwendig wird und so langsam wie es notwendig ist.

Was halten Sie von dem Begriff Reality-Werbung?
Es geht nicht um den Begriff, vielmehr darum, die Brücke zwischen Wirklichkeit und Täuschung zu überbrücken und Realität zuzulassen.

Warum gehen Sie nicht in der Politik?
Es geht doch gar nicht ohne Politik. Jeder macht auf seine eigene Weise Politik.

Was haben Sie über den Menschen gelernt?
Sein Schicksal ist, zu wenig über sich selbst zu wissen. Vielleicht hätte der Schöpfer am siebten Tag noch etwas arbeiten sollen.


Interview  Lutz Redecker / Oliviero Toscani –
Archiv MAGAZIN/ TAGESANZEIGER Januar 2001
(Auftrag stellvert. Chefredakteur Peer Teuwsen)

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updated: octobre 2011 contact me