Zur Konstruktion von Identität
im virtuellen Raum
 

 

Seminararbeit
im Rahmen des Seminars
‘Soziologische Annäherung an den Cyberspace’
am
Soziologischen Institut der Universität Zürich
bei
Prof. Hans Geser
 
 
Christoph Lüscher, 1997

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Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung  *

1. Präsentation des Alltags-Selbst und Konstruktion einer virtuellen Identität  *

1.1. Das Alltags-Selbst  *

1.2. Die virtuelle Identität  *

2. Die Konstruktion von Identität online  * 2.1. Definition von Identitätskonstruktion online  * 3. Beispiele und Analysen: MUDs  * 3.1. Das Phänomen  *

3.2. Typen von MUDs  *

3.3. Hierarchie  *

3.4. Soziales System  *

3.5. Die Realität ist im Kopf  *

4. Psychologische und kulturelle Effekte  * 4.1. Psychologische Effekte  *

4.2 Kulturelle Effekte  *

4.2.1. Dekonstruktion und Rekonstruktion des Kulturellen  *

5. Fazit  *

6. Glossar  *

7. Literatur  *

 
L’essence enfin est radicalement coupée
de l’apparence individuelle qui la manifeste,
puisqu’elle est par principe:
ce qui doit pouvoir être manifesté par
une série de manifestations individuelles.
Jean Paul Sartre, l’être et le néant.
0. Einleitung

Der weniger Internet- und Computerkundige Leser sei darauf hingewiesen, dass sich im Kapitel 6 dieses Textes ein Glossar befindet, der die mit einem Stern (*) markierten Begriffe kurz erläutert.

In Courier wiedergegebene Texte sind Beispiele und Logs* von Interaktionen in diversen virtuellen Räumen.

Dem Internet wird oft viel weltverbessernde Kraft zugeschrieben. In diesen Lobgesang werde ich, wenn auch wissenschaftlich gedämpft, im folgenden Text einstimmen. Doch zuerst will ich etwas tun, was das Internet-Magazin Wired treffend als ‘cooling the hype’ bezeichnet.

In einem Interview mit Wired gibt der Marshall McLuhan-Adept Derrick de Kerckhove folgende Antwort auf die Frage, ob es im Netz der Netze jemals einen Diktator geben könne:
 

Never! Impossible! The reason is that the Web is both collective and individual at once. It’s the only medium we’ve ever known where language appears orally and written at the same time. It’s oral because it’s always contextualized, in just-in-time communities, recognizing themselves according to need, function, circumstance, which is the mark of orality. Yet everything you say or write on the Net, on the Web, is posted and archived. [1]   Einen Diktator im Netz mag es vielleicht nie geben, von diktatorischer Gewalt über das Netz sind wir hingegen nicht immer weit entfernt. Noch nie haben sich zwischen zwei Kommunikationspartner eine derartige Unzahl von hochtechnologischen ‘Relaisstationen’ geschaltet. Diese technischen Ressourcen sind jeweils im Besitz von Organisationen oder einzelnen Personen, die ein mehr oder weniger starkes Bedürfnis verspüren können, die Art der verarbeiteten Informationen und die Online-Aktivitäten der Netzbenutzer zu kontrollieren. So hat der Software-Gigant Microsoft vor ca. zwei Jahren damit angefangen, mit erheblichem finanziellem Aufwand in den Medien-Produktionsbereich vorzustossen.[2] Ziel solcher Aktionen ist vermutlich nicht einmal vorrangig die Kontrolle von kulturellen Inhalten, sondern hauptsächlich von deren Form und Verarbeitung. Wenn es das Ziel sein soll, "die Online-Welt zu beherrschen", wie dies ein MCI-Vertreter nach dem Beschluss, mit Microsoft zusammenzuarbeiten, ausgedrückt hat, dann wird die Kontrolle über Form und später auch Inhalt der verarbeiteten Informationen unerlässlich. Sei dies vorläufig nur die Definitionsmacht über einen neuen Video-Verarbeitungsstandard. Später müssen dann, z.B. um eine grössere Kundenbasis zu erreichen, Inhalte unterdrückt werden, die die allgemeinen Normen ‘politischer Korrektheit’ verletzen könnten. Verschiedene Netzwerkbetreiber haben derartige Versuche bereits unternommen. Compuserve und AOL seien hier als Beispiele erwähnt (Sperrung von bestimmten Newsgroups* im Usenet*).

Aus der momentan äusserst anarchischen Struktur des Internets auf eine inhärente derartige Qualität dieses Mediums zu schliessen wäre meiner Ansicht nach fatal. Das Internet bietet noch nie dagewesene Möglichkeiten zur Überwachung von Aktivitäten seiner Benutzer. Es erlaubt potentiell die Kontrolle und Überwachung menschlicher Kommunikation in unvorhersehbaren Ausmassen. Denn erstmals ist öffentliche und vermeintlich nicht-öffentliche menschliche Kommunikation in grossem Ausmass zentral speicherbar, wiederabrufbar und weiterverarbeitbar. Bereits bestehen Speichermedien [3] die es theoretisch ermöglichen würden, das gesammte WWW, mit allen Bildern, Texten und laufenden Kommunikationen abzuspeichern.[4] Peinlich, wenn jemand nach zwanzig Jahren eine kleine net.sex-Affäre*, die ein Arbeitskollege damals in einer dunklen Ecke des IRC* hatte, nachlesen kann. Schlimm, wenn ein Arbeitgeber mit einer Suchmaschine die letzten 200 politischen Aussagen abfragen kann, die seine Angestellten, vermeintlich unbeobachtet, gegenüber ein paar Netzfreunden gemacht haben.

Mit diesen Beispielen von möglichen negativen Auswirkungen der globalen Technologie ‘Internet’ wollte ich vor dem leider weitverbreiteten, blinden Optimismus hinsichtlich der aktuellen, in der Tat faszinierenden Entwicklungen in der weltweiten Kommunikation warnen.

Weitere Themen, die in diesen Bereich fallen, aber den Rahmen meiner Arbeit sprengen würden sind:

 
Doch nun zum eigentlichen Thema meiner Arbeit:

In der physikalischen Welt liefert der menschliche Körper eine verbindliche Definition von Identität. Er bildet den Ankerpunkt für die inhärente Einheit des Selbst. Im virtuellen Raum geht dieser Körper verloren. Identität wird, durch die Abwesenheit von bindenden physikalischen Hinweisen auf Persönlichkeit, sozialen Status etc., mehrdeutig. Nichtsdestotrotz bieten online-Welten Hintergründe, vor denen Identität(en) konstruiert und ausgelebt werden können. Die Art dieser Hintergründe und die Art der davor konstruierten Identitäten soll in dieser Arbeit anhand von theoretischen Überlegungen, Begriffsklärungen und konkreten Beispielen untersucht werden.

 
[Inhalt]

1. Präsentation des Alltags-Selbst und Konstruktion einer virtuellen Identität

1.1. Das Alltags-Selbst

Das Internet gibt einem aktiven Benutzer die Möglichkeit, sich mittels einer Homepage oder anderer online-Aktivitäten potentiell einer noch nie dagewesenen Zahl von Mitmenschen vorzustellen. Will er dies tun, so stellen sich ihm fast zwangsläufig gewisse Fragen:

Viele Homepages sind Zeugen des (zum Teil sehr bewussten) Versuches, auf solche Fragen zu antworten. Zur Illustration seien hier zwei zufällig herausgegriffene Beispiele aufgeführt:
 
  Elizabeth/Muriel's Homepage
 

...identity under construction
 

Hi, as you can tell, my page and I are still under construction. If you have any suggestions for my homepage, e-mail me! [5]
 

 

Kablooie’s World
 

Not just another home page, but an entire... well, OK, another home page... full of useless info about someone you don't know...  [6]

 
 
Die ‘under construction’-Zeichen, die sich zur Zeit auf zahllosen persönlichen Homepages finden, könnten als bewusster oder unbewusster Hinweis auf einen derartigen Prozess der Identitätskonstruktion gedeutet werden. [7]

Bemerkenswert ist, dass zahlreiche Homepage-Autoren die Antwort auf die Fragen ‘Was macht mich interessant?’ und ‘Was macht mich einzigartig?’ in der Preisgabe von zum Teil äusserst persönlichen Informationen finden. So geben manche Homepages Auskunft über die seelische Verfassung ihrer Besitzer, ihre Selbstzweifel, ihre sexuellen Präferenzen, ihre geheimen Phantasien etc. Informationen, die, gälte es sie in der Face to Face (FTF)-Kommunikation herauszufinden, vielleicht erst nach Tagen oder Monaten des persönlichen Kontaktes bekannt würden. Dieses Phänomen der grösseren "Offenheit" online muss aber im Rahmen dieser Arbeit unerklärt bleiben.

1.2. Die virtuelle Identität

Das Netz gibt seinen Benutzern die Möglichkeit, gleichzeitig mehr und weniger sich selbst zu sein. [8]

Mehr im Sinne, dass es ihnen erlaubt, im Schutze der relativen Anonymität des Computerbildschirms viel von sich preiszugeben, ohne die in der FTF-Welt üblichen ‘negativen Feedbacks’ (oft gestisch und mimisch ausgedrückt) oder Vorverurteilungen (aufgrund von sichtbaren Merkmalen wie Rasse, Geschlecht oder Alter etc.) befürchten zu müssen.

Weniger im Bezug auf ihr Alltags-Selbst, indem es ihnen erlaubt, eine virtuelle Identität zu konstruieren, die sich fast beliebig stark vom alltäglichen Selbst unterscheidet.

So kann die virtuelle- oder cyber-Identität verschiedene Qualitäten in ihrer Perzeption durch die betroffene Person annehmen.

Die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen können, sind: Die Erfahrung der Konstruierbarkeit der Identität online kann die Frage nach der Konstruiertheit der Identität im realen Leben auslösen. Gewinnbringend im Sinne der Erfahrung von Veränderbarkeit der Identität. Oder negativ im Sinne der verstärkten Erfahrung des Zwangs einer zugeschriebenen Identität im realen Leben.

 
[Inhalt]

2. Die Konstruktion von Identität online

Homepages, MUDs, IRC (werden später genauer beschrieben) und andere Online-Kommunikationsmöglichkeiten stellen dem Benutzer eine bestimmte Zahl von (kulturellen) Elementen zur Verfügung, die er zur Selbst-Darstellung und schliesslich zur Konstruktion einer Online-Identität benutzen kann. Die zur Verfügung stehenden Elemente sind verschieden von einem virtuellen Ort zum anderen.

Hier tut sich eine Parallele zur Subkulturtheorie auf. [9] Auch Subkulturen stellen kulturelle Elemente zur Verfügung, die es ihren Mitgliedern erlauben, eine alternative Identität zu konstruieren. Gewisse Subkulturtheoretiker gehen davon aus, dass das Bedürfnis nach der Konstruktion einer alternativen Identität vor allem bei Personen auftritt, die in der Dominanten Gesellschaft über eine als unbefriedigend empfundene, zugeschriebene Identität verfügen. Zugeschrieben aufgrund von Klasse, Ethnizität, Hautfarbe, Aussehen etc. Wobei Identität hier in einem engen Zusammenhang mit sozialem Status gesehen werden muss.

Im Netz sind diese Eckpfeiler der zugeschriebenen Identität und des zugeschriebenen Status nicht sofort ersichtlich. Die Person im Netz ist die Worte, die sie spricht. Diese Tatsache führt zur Möglichkeit, Identität zu wählen, aktiv zu konstruieren. Identität wird mehrfach, fliessend, und instabil. Dazu Sherry Turkle:
 

The Internet is another element of the computer culture that has contributed to thinking about identity as multiplicity. On it, people are able to build a self by cycling through many selves. [10]   Aus der Absenz der klassischen Identitäts-Zuschreibungsmerkmale im Netz auf eine allgemein egalisierende und befreiende Wirkung des Netzes zu schliessen, scheint mir in dieser Art jedoch nicht haltbar. Dies wäre meiner Ansicht nach eine unzulässige Verallgemeinerung der momentan relativ egalitären Verhältnisse im Netz. Diese Verhältnisse beruhen wahrscheinlich zumindest heute noch auf einer real relativ einheitlichen Zusammensetzung der Netz-Benutzer (akademisch, Mittel- bis Oberschicht, mit Zugang zu Hochtechnologie).

Im Netz werden verlorene Identitäts- und Statuszuschreibungsmerkmale durch neue ersetzt. Die gesprochene und geschriebene Sprache enthält zu viele Informationen über eine bestimmte Person, als dass sie Basis eines egalitären Systems sein könnte. Eine noch wichtigere Quelle von Ungleichheit online ist die individuelle Beherrschung der zur Anwendung kommenden Technologie, sind allerlei technologische ‘Zauberkünste’, die sich nur bestimmte Personen aneignen können, die im Besitz der intellektuellen, und vor allem, technologischen Ressourcen (z.B. Zugang zu gewissen Computersystemen) sind.

Materielle Güter sind knapp. Informationen (grundlegender Bestandteil der Identitätskonstruktion im Netz, ein Beispiel dazu sind die omnipräsenten FAQs*) sind dies grundsätzlich nicht. Jede Person kann potentiell eine beliebige Zahl von Informationen sammeln, besitzen oder gar kreieren. Das Netz verteilt die Macht der Informationsproduktion und Konsumption an die Endbenutzer. Die Qualität der Informationen, in deren Besitz eine bestimmte Person gelangen kann ist aber abhängig von zahlreichen un-egalitären Voraussetzungen und Zwängen. So kann z.B. nur jemand, der über einen UNIX-Rechner verfügt, noch nie dagewesene Informationen über UNIX beschaffen. Und nur eine Person, die Geld & Zeit zum Reisen hat kann Reiseberichte im Netz veröffentlichen.

2.1. Definition von Identitätskonstruktion online

Während meiner Nachforschungen zum Thema der Konstruktion von Identität Online habe ich mich immer wieder am Klassischen Begriff der Identität als einer "dauerhafte[n] Übernahme bestimmter sozialer Rollen und Gruppenmitgliedschaften", die "vor allem während der Pubertät und Adoleszenz" [11] stattfindet, gestossen. Online-Identitäten sind, so schien mir, multipler, fliessender und rekonstruierbarer, als dies bisher für möglich gehalten wurde. Deshalb werde ich an dieser Stelle versuchen, eine leicht abgewandelte Definition des Begriffes ‘Identitätskonstruktion’ zu geben. Die, sozusagen als Arbeitsdefinition, als Grundlage weiterer Erläuterungen dienen soll.
 
Konstruktion von Identität in diesem Sinne ist...
 

Die Wahl eines kulturellen Systems, sowie die Wahl von Elementen, die dieses System anbietet (Stile, Rollen, Werte, Ideologien), mit dem Ziel, das Selbst zu repräsentieren (ein Bild davon zu geben), gegenüber den Mitgliedern desselben kulturellen Systems, und, als Mitglied dieses Systems, gegenüber den Mitgliedern anderer kultureller Systeme.

Die Reaktion anderer auf die so konstruierte Identität wirkt zurück auf Erfahrung und Konstruktion des Selbst des betroffenen Individuums.

 
Ich will nun versuchen, diese Definition anhand eines Vergleiches genauer zu erläutern:

George Herbert Mead unterscheidet zwei Aspekte des Selbst, das ‘I’, den Subjektaspekt und das ‘Me’, den Objektaspekt. Das Me ist zahlreichen äusseren Zwängen und Erwartungen ausgesetzt, determiniert durch den Körper der betroffenen Person, die sozialen Rollen, die diese innehat, ihre soziale Stellung, ihre Wertvorstellungen und Weltanschauungen. Im I setzt sich die betroffene Person mit den Zwängen und Erwartungen, denen das Me ausgesetzt ist, auseinander, und erfährt so seine ‘Individualität’.

Graphisch dargestellt:

 

 

Die das Me beeinflussenden Faktoren lassen sich nun unter dem Begriff ‘Identität’ zusammenfassen, ohne stark von seiner üblichen Definition (Übernahme von Rollen und Gruppenmitgliedschaften etc.) abzukommen. Im physikalischen Raum bindet der Körper (Alter, Geschlecht, Aussehen etc.) ein Individuum relativ stark an seine Identität. Das Individuum kann diese Bindung nur überkommen, indem es seinen Körper verändert (was relativ schwierig ist), oder indem es sich an einen Ort begibt, wo seine alte Identität nicht bekannt ist. Auch an einen solchen Ort ist es aber Vorverurteilungen aufgrund seines Aussehens, seiner Sprache usw. ausgesetzt. Im Cyberspace fällt die Bindung von Körper und Identität weg. So erhalten Personen die Möglichkeit, ohne grossen Aufwand mehrere Identitäten parallel zu führen. Die Online-Welt ermöglicht dem Individuum das Experimentierens mit Identitäten, indem es Reaktionen auf eine von ihm ‘kreierte’ Identität beobachten kann. Ein Extrembeispiel für ein derartiges Verhalten ist das sogenannte ‘gender-switching’, indem sich ein Mann als Frau (oder umgekehrt) ausgibt.

Graphisch liesse sich dies etwa so darstellen:

 

 

Das Selbst, reduziert auf den Subjektaspekt, sondert mehrere Identitäten ab, die Reaktion anderer auf diese Identitäten wirkt als soziale Erfahrung zurück auf das Selbst. Es ist zu beachten, dass virtuelle Identitäten, genau wie Identitäten im realen Leben eine starke Eigendynamik entwickeln: Das Individuum wird mit seiner Identität in einen sozialen Kreis eingebunden, in dem es sich dann verpflichtet fühlt, ‘seine Rolle zu spielen’.
 

[Inhalt]

3. Beispiele und Analysen: MUDs

3.1. Das Phänomen

MUDs sind, technisch gesehen, riesige Datenbanken, die von mehreren Benutzern gleichzeitig abgefragt und verändert werden können. Über ein Interface, das zurzeit noch häufig auf Text basiert (Telnet-Protokoll*) können die Benutzer eines MUDs virtuelle Räume erstellen und beschreiben, sich zwischen diesen Räumen bewegen, und Gegenstände erschaffen. Ebenso können sie mit anderen Benutzern, die sich im selben Raum befinden in Echtzeit kommunizieren.

 
LambdaMOO, ein sehr beliebter MUD empfängt seine Benutzer wie folgt:
 

CO FordPerfect XXXXX

*** Connected ***

The Linen Closet

The linen closet is a dark, snug space, with barely enough room for one person in it. You notice what feel like towels, blankets, sheets, and spare pillows. One useful thing you've discovered is a metal doorknob set at waist level into what might be a door. Another is a small button, set into the wall.

 
Auf die Eingabe des Befehls CO (connect) mit Benutzernamen und Passwort folgt die Beschreibung des Raumes, in dem sich die virtuelle Person des Benutzers (in diesem Fall FordPerfect genannt) nun befindet.

FordPerfect kann jetzt den ominösen Knopf drücken, der in der Beschreibung des Raumes erwähnt ist:
 

press button   darauf folgt:
  You press the button.

A trap door suddenly opens up beneath you!

You fall through, into some kind of chute.

The chute twists this way and that, until you completely lose your bearings.

You bump into a panel that seems to give, and suddenly find yourself in The Living Room!

The Living Room

It is very bright, open, and airy here, with large plate-glass windows looking southward over the pool to the gardens beyond. On the north wall, there is a rough stonework fireplace. The east and west walls are almost completely covered with large, well-stocked bookcases. An exit in the northwest corner leads to the kitchen and, in a more northerly direction, to the entrance hall. The door into the coat closet is at the north end of the east wall, and at the south end is a sliding glass door leading out onto a wooden deck. There are two sets of couches, one clustered around the fireplace and one with a view out the windows.

You see README for New MOOers, Welcome Poster, a fireplace, Cockatoo, Helpful Person Finder, The Birthday Machine, lag meter, and a map of LambdaHouse here.

Abraxas, Tock_WatchDog (Magician) (distracted), Tesla (daydreaming), Fidi, Carioke, Dic_Turpin and xdr (distracted) are here.

 
FordPerfect, etwas verwirrt von seinem langen Fall durch den versteckten Tunnel unter dem Wäscheschrank lächelt die in diesem Raum versammelten Personen an, mit:
  emote smiles at everyone   alle in diesem Raum versammelten Personen sehen nun auf ihren Bildschirmen:
  FordPerfect smiles at everyone   Abraxas, verstrickt in eine intensive philosophische Diskussion mit Tock_WatchDog, ist erfreut, einen alten Freund ‘wiederzusehen’, und tippt:
  say ‘hello Ford’   er sieht: You say ‘hello Ford’   alle anderen im Raum sehen
  Abraxas says ‘hello Ford’   und weiter:
  Copper_Guest comes out of the closet (so to speak...).

Copper_Guest puts some kindling in the fireplace.

Fidi kisses Tock_WatchDog (Magician) platonically.

Copper_Guest puts some logs in the fireplace.

Copper_Guest throws a match into the fireplace and the fire rapidly catches.

Dic_Turpin [to Fidi]: that she really wants to speak with Carioke!

Cockatoo squawks, "i can't even get a @dossier on yu"

xdr puts Copper_Guest on the fire

Dic_Turpin grins at Carioke.

Copper_Guest sizzles

Carioke has disconnected.

Copper_Guest -ouch-

FordPerfect pours water on the fire.

Fidi helps Copper_Guest to get out of the fire

Tock_WatchDog (Magician) hugs Fidi warmly.

Fidi pokes at xdr.

Copper_Guest is nice and warm... thanks...

Fidi kisses Tock_WatchDog (Magician) platonically.

emote relights the fire.

FordPerfect relights the fire.

Fidi [to Copper_Guest]: "good to hear that

 
Die hier dargestellte (teilweise fiktive) Kommunikation im LambdaMOO zeigt nur einen kleinen Bruchteil der Ausdrucksmöglichkeiten, die den virtuellen Personen in einem MUD zur Verfügung stehen. MUD-Personen können z.B. auch virtuell Billard spielen, Bungee springen, klettern, rennen, andere Figuren ‘pagen’ etc.

Insbesondere können sie sich auch technische Tricks aneignen, die es ihnen erlauben, Dinge zu tun, die andere Figuren nicht tun können. Zum Beispiel ein soziales FO (FeaturedObject) programmieren: ein Objekt, das alle Personen in einem Raum in einen Handlungsablauf, z.B. einen Überfall durch eine Gruppe von Clowns, einbezieht.

3.2. Typen von MUDs

Das Wort MUD ist ein Akronym für Multi User Dungeon. Diese Bezeichnung geht auf die Urform des Adventure-Spiels zurück, dem Dungeons and Dragons, in dem ein einzelner Spieler sich durch ein textlich beschriebenes Labyrinth von Tunnels bewegt und gegen allerlei feindlich gesinnte Wesen antritt. Aus Gründen der technischen Verschiedenheit der jeweiligen MUD-Programme ist eine babylonische Verwirrung von Bezeichnungen der MUDs entstanden: MUDs, MOOs, MUSEs, MUSHS etc. Jede dieser Bezeichnungen bezieht sich auf eine technisch unterschiedliche Realisierung eines Multi User Dungeons.

Auf einer anderen Ebene können grundsätzlich zwei Typen von MUDs unterschieden werden:

Soziale MUDs, in denen der soziale Kontakt, die Interaktion, und das Bauen von virtuellen Räumen einen besonders hohen Stellenwert hat.

Adventure-MUDs, in denen das lösen von Rätseln und besiegen von feindlichen Wesen, einzeln oder im Team, die Zeit der Spieler in Anspruch nimmt. Ziel der Spieler in einem Adventure-MUD ist das Sammeln von sogenannten Erfahrungspunkten und somit der Aufstieg in der internen Hierarchie des MUDs.

3.3. Hierarchie

Jeder MUD kennt eine mindestens dreistufige Hierarchie der Spieler: Spieler, Wizards und Gods. Adventure-MUDs kennen häufig wesentlich komplexere Hierarchien, die meist auf den oben erwähnten Erfahrungspunkten beruhen.

Höhere Hierarchiestufen entsprechen im allgemeinen höheren Rechten und Pflichten des jeweiligen Spielers. Insbesondere nimmt mit dem Aufstieg in der Hierarchie die Zahl der technischen Möglichkeiten zu, auf die ein Spieler Zugriff hat. In Adventure-MUDs können höhere Hierarchiestufen auch mehr Kraft bedeuten. Ein Schlag mit einem virtuellen Schwert bekommt zerstörerische Wirkung.

Spieler stehen auf der untersten Stufe der Hierarchie, ihre Bewegungs- und Veränderungsfreiheiten im MUD sind, je nach MUD mehr oder weniger eingeschränkt. In sozialen MUDs haben sie z.B. oft nicht Zugriff auf die nötigen Befehle, um andere Spieler zu töten (deren Figuren und Bauten zu löschen). In Adventure-MUDs ist das töten, nicht per technischem Befehl, sondern mit Feuer und Schwert häufig an der Tagesordnung, zumindest unter Spielern derselben Hierarchiestufe.

Wizards haben ihren Status oft durch besonders intensive soziale Tätigkeit in einem MUD erreicht. In einem Adventure-MUD kann auch das erringen von möglichst vielen Erfahrungspunkten zum Wizard-Status führen. Wizards haben in der Regel eine ausgedehntere Verfügungsgewalt über die Welt des MUDs und deren Bewohner. In sozialen MUDs haben sie typischerweise das Recht, andere Spieler per Dekret aus dem MUD auszuloggen, ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken, sie während einer bestimmten Zeit zu bannen, oder sie gar zu töten. Derart fundamentale Entscheidungen eines Wizards bedürfen aber oft einer öffentlichen Rechtfertigung. Der Missbrauch von Macht durch einen Wizard kann zu Sanktionen führen, die vom Verlust des Wizard-Statuses bis hin zum Tod der entsprechenden Figur führen können.

Gods sind die Besitzer der Computerresourcen, auf denen der MUD läuft. Sie haben die absolute Macht über die Welt des MUDs: die Kontrolle des Netzschalters des Host-Computers.

3.4. Soziales System

Grosse soziale MUDs, z.B. der LambdaMOO, haben Tausende von Benutzern, von denen jeweils hunderte parallel eingeloggt sein können. Derartige MUDs haben zum Teil im Laufe der Zeit äusserst komplexe soziale, politische, ökonomische und rechtliche Systeme entwickelt. Solche Systeme sind häufig aus zwei Gründen entstanden:

Urbanisierungstendenzen, der Mangel an Rechnerplatz für die MUD-Datenbank und der rasante Anstieg der Benutzerzahlen, sowie die damit verbundenen technischen Probleme haben zu Bevölkerungs- und Baupolitiken geführt. Der LambdaMOO kennt ein Bevölkerungsgesetz, das den Anstieg der Benutzerzahlen regulieren soll, sowie ein Baugesetz, das die wilde Bautätigkeit und Unübersichtlichkeit im MUD einschränken soll. Zur Illustration soll hier eine Petition im LambdaMOO dienen, die eine bessere Regelung der Verantwortlichkeit von Mitgliedern des Bauprüfungskomitees verlangt.
 

Standards of Behavior for Architecture Review Board Members (#27007)

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by Profane (#30788)

[Last edited on Tuesday, September 3, 1996 at 11:27 pm]

 

PURPOSE:

Architecture Review Board ("ARB") members are in a position of authority and responsibility. As such, they should act accordingly.

ELIGIBILTY:

To be eligible to be an ARB member, a player must be a programmer.

RESPONSIBILITY:

Should a member of the ARB be newted or become programmer-restricted, that member shall be immediately removed from the ARB.

Should such a newting or restriction later be annulled through due process, the member shall regain eir standing on the ARB. However, this reinstatement shall not occur otherwise, even if the restriction or newting is temporary, nor shall reinstatement occur if an ARB election has been completed in the interim.

e.g., Should an ARB member be newted as a result of an Arbitration decision, e shall lose eir ARB status. If this decision is overturned, the member would regain eir status. However, if the decision is not overturned, then the former member shall not regain eir ARB status.

e.g., If an ARB member is newted or restricted via wizardly fiat, the only method of restoration to the ARB is another wizardly fiat.

Note that the above penalty is not applicable to the self-inflicted newtings produced by the Russian Roulette gun or other such `voluntarily-imposed penalties.'

GRANDFATHER CLAUSE:

Should a current member of the ARB be currently newted or programmer-restricted upon passage of this legislation, e shall be removed from the ARB as specified above.

 
Missbrauch. Immer wieder sind in MUDs Fälle von Missbrauch der technischen und sozialen Bewegungsfreiheit aufgetreten. Einzelne Benutzer haben die Welt der MUDs missbraucht, um sexuelle, rassistische oder andere Aggressionen zum Schaden ihrer Mitspieler auszuleben. Ein Fall im LambdaMOO, der Geschichte gemacht hat, ist die Untat von MrBungle. Einem Spieler, der mit Hilfe einer sogenannten voodoo-Puppe zwei Mitspielerinnen (Starsinger und legba) virtuell vergewaltigt hat, indem er ihre Figuren sexuell grausame Äusserungen machen liess, die ihre Besitzerinnen gar nicht eingetippt hatten. Derartige Vorfälle haben in gewissen MUDs die Entstehung eines Systems von Recht und Bestrafung bewirkt. MrBungle wurde nach einer langen Diskussion aus dem LambdaMOO verbannt.

3.5. Die Realität ist im Kopf

Unerlässlich zum Verständnis der Vorgänge in einem MUD ist die Erkenntnis, dass die Erlebnisse ihrer virtuellen Figuren für deren Besitzer eine emotional äusserst reale Komponente annehmen können. Eine ‘freundschaftliche Umarmung’ in einem MUD kann Ausdruck von tiefsten Gefühlen sein, die den in der ‘realen’ Welt empfundenen Emotionen in nichts nachstehen.

Richard Bartle, einer der Väter des MUDdings und Mitbegründer des ersten MUDs drückte dies wie folgt aus:
 

"MUAs [MUDs] have an emotional hold over their players which stems from the players' ability to project themselves onto their game personae, feeling as if the things which happen to the game personae are happening directly to the players themselves." [12]   Nochmals zurück zur traurigen Geschichte von MrBungle. Zwei Tage nach der virtuellen Vergewaltigung hat legba folgende Bitte geäussert
  I am requesting that Mr. Bungle be toaded for raping Starsinger and I. I have never done this before, and have thought about it for days. He hurt us both.  [13]   ‘toading’ meint hier das löschen der betreffenden Figur aus dem MUD.

Was folgt ist ein kurzer Ausschnitt aus einer Diskussion über die Tat von MrBungle, einen Tag später. Immer wieder haben die Teilnehmer dieser Diskussion versucht, die Grenzen zwischen virtueller und realer Gewalt zu ziehen.
 

Quastro: Where does the body end and the mind begin?

HerkieCosmo: Is not the mind a part of the body?

HerkieCosmo: In MOO, the body IS the mind,

Obvious: all reality might consist of ideas, who knows.6

 

[Inhalt]

4. Psychologische und kulturelle Effekte

4.1. Psychologische Effekte

Sherry Turkle, Wissenschaftlerin am MIT und Spezialistin in virtuellen Realitäten sieht den Begriff der Kontrollierbarkeit (mastery) als einen der Eckpfeiler zur Erklärung der psychologischen der Attraktivität von MUDs.

Wenn wir aufwachsen, so Turkle, konstruieren wir unsere Identität, indem wir auf dem letzten Stadium in unserer psychologischen Entwicklung, in dem wir uns sicher gefühlt haben, aufbauen. Ein solcher ‘Mikrokosmos der Kontrollierbarkeit’ gibt uns ein Gefühl von Sicherheit in Zeiten psychologischen Druckes. Als Resultat dieses Vorganges definieren sich viele Personen in den Begriffen ihrer Kompetenzen, in den Begriffen dessen, was sie kontrollieren können.

MUDs geben Leuten mit Ideenreichtum und intellektueller Beobachtungsgabe die Möglichkeiten, ein weiteres Feld von Objekten oder gar Personen zu kontrollieren, als dies die ‘reale’ Welt tut. So entwickeln MUDs ihre Anziehungskraft vor allem auch auf Leute, denen es im ‘realen’ Leben an Möglichkeiten zur Einflussnahme fehlt.

4.2 Kulturelle Effekte

4.2.1. Dekonstruktion und Rekonstruktion des Kulturellen

In ihrer Arbeit über das IRC beschreibt Elizabeth M. Reid die Entstehung des Sozialen im virtuellen Raum als Zyklus von Dekonstruktion und Rekonstruktion des Kulturellen:
 

IRC forces users to deconstruct many of the cultural tools that form the basis of more conventional systems of interaction. Within this environment new methods of creating shared systems of significance, and methods of enforcing that new hegemony, have developed. [ 14 ]   Auf den Kanälen des IRC, so Reid weiter, ist es nicht sofort ersichtlich, welche Formen der sozialen Etiquette zurzeit angebracht sind. Symbole, nonverbale Hinweise (wie Kleidung, Posturen, Lächeln, Tonalitäten des Gespräches), die uns dies normalerweise mitteilen, fehlen.

Eine Person und ihre Identität sind nicht durch das physikalische Aussehen aneinander gebunden. So gibt das IRC seinem Benutzer die Möglichkeit, Aspekte seiner Identität und seiner kulturellen Klassifikation zu dekonstruieren, und die Grenzen zwischen einiger der im realen Leben als fundamental angesehenen kulturellen Bedeutungen zu durchbrechen und zu verwischen. Ein Extrembeispiel dazu ist wiederum die Möglichkeit des ‘gender-switchings’.

Die relative Anonymität der realen Person und die Abwesenheit sozialer Kontrolle durch nonverbale Hinweise bewirken bei den Benutzern des IRC eine relative Enthemmung ihrer Verhaltensweisen.

Chat-Programme wie das IRC erlauben erstmals die synchrone Kommunikation von vielen zu vielen in geschriebener Sprache. Die Abwesenheit von nonverbalen Hinweisen in der geschriebenen Sprache hat eine Dekonstruktion von kulturellen Bedeutungen erst möglich gemacht. Parallel dazu sind aber neue kollektive Bedeutungssysteme als Ersatz für die nonverbale Kommunikation entstanden. Einige solcher Bedeutungssysteme seien im folgenden beispielhaft beschrieben.
 

a) Emoticons

Eine Art, die zur Verfügung stehende "Bandbreite" auszunutzen sind die oft verwendeten Emoticons: Folgen von Zeichen, die von der Seite betrachtet wie Gesichter aussehen. Beispiele:

:-) Ein lächelndes Gesicht, dient oft zur Abschwächung von Aussagen, die sonst verletzend wirken könnten.

:-( Ein trauriges Gesicht.

;-) Ein Augenzwinkern.

:-o Erstaunen.

Oder, eher humoristisch:

:*) Benutzer ist betrunken.

:’-( Benutzer weint.

8-) Benutzer trägt eine Sonnenbrille.
 

b) Hervorhebungen und ‘Klassifizierungen’ von Text

Beispiele:

*Hervorhebung* (ähnliche Bedeutung wie Kursivschrift)

<Sarkasmus ein>Sarkastischer Text<Sarkasmus aus>

 
c) Abkürzungen

Abkürzungen dienen hauptsächlich dazu, Konzepte in möglichst kurzer Form auszudrücken. Was die Echtzeit-Kommunikation in schriftlicher Form gewaltig erleichtert. Beispiele:

IMHO - In My Humble Opinion (mit oder ohne Sarkasmus)

LOL - Laughing Out Loud
 

d) Die Ausnutzung des Zeichensatzes

Die Textsysteme, in denen virtuelle Welten gebaut werden, können häufig nebst dem normalen Alphabet noch zusätzliche Zeichen darstellen. Gewisse Benutzer haben eine wahre Virtuosität darin entwickelt, diese zusätzlichen Zeichen für die Präsentation ihrer virtuellen Personen zu benutzen. So werden Namen oft, anstatt mit den üblichen Alphabetbuchstaben, als Kette von Sonderzeichen geschrieben: ¥ØË£ oder ©H®Î$TØþH.

 
e) ASCII-Kunst

Als ASCII-Kunst gilt das ‘zeichnen’ von Bildern unter der ausschliesslichen Verwendung von Textzeichen. Benutzer von MUDs und dem IRC versuchen oft mit besonders kunstvoll gestalteten ASCII-Bildern die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Als Beispiel sei hier das Signet der Hackervereinigung Cult of the Dead Cow aufgeführt:

  _ _
((___))
[ x x ]
  \ /
 (´ ´)
  (U)
 
f) Die Wichtigkeit von Namen (Handles)

Namen sind, vor allem im IRC, aber letztendlich auch in MUDs die einzige Erkennungsmarke einer virtuellen Person. Daher bestehen in fast allen virtuellen Welten formelle und informelle Regeln zum Gebrauch von Namen. So ist es zum Beispiel fast immer verboten, dass mehrere Bewohner eines virtuellen Raumes denselben Namen verwenden oder dieselbe Figur ‘steuern’. Häufig ist es auch untersagt, gleichzeitig unter mehreren Namen eingeloggt zu sein. Virtuelle Personen, die aufgrund ihres Namens häufig mit anderen Personen verwechselt werden, werden oft freundlich dazu aufgefordert, ihren Namen zu ändern, oder mit anderen Mitteln deutlich zu machen, ‘wer sie sind’. Über das korrekte spielen einer bestimmten Rolle bestehen von virtuellem Ort zu virtuellem Ort unterschiedliche Regeln. So gilt es in bestimmten MUDs als verpönt oder gar verboten, ‘aus der Rolle zu fallen’ (das heisst z.B. eine bis anhin sehr scheue und ruhige Figur plötzlich mutig und laut werden zu lassen). Andere MUDs haben spezielle Bereiche eingerichtet, in denen ‘aus der Rolle fallen’ (out of character play, OOC) erlaubt oder gar erwünscht ist.

 
g) Codes

Codes drücken Eigenschaften einer Person in einer den Betriebssystem-Kommandosprachen nachempfundenen, klar definierten Syntax aus. Jenseits ihres informativen Charakters markieren sie hauptsächlich Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.

Beispiel eines Geek*-Codes:
 

-----BEGIN GEEK CODE BLOCK-----

Version: 3.1

GCS/SS/H/CC dx s:- a-- C++++(!C) U? W+ N+ o-

K? w--- O? M+ PS+++>(++) PE Y++ PGP-/++++

t++ 5? X? R? tv+++(tv--) b++++ DI++

D+++ G+ e+++ h-- r+ y*

------END GEEK CODE BLOCK------

 
Erklärung: diese Person identifiziert sich als Geek der Computerwissenschaften/Sozialwissenschaften/Humanwissenschaften und Kommunikation (GCS/SS/H/CC) mit exzentrischem Kleidungsstil (dx), normal gross und leicht untergewichtig (s:-), 20-24 Jahre alt (a--), schwankend zwischen totaler Computer-Abhängigkeit und völliger Ablehnung von Computern (C++++(!C)) etc.
 

Vor allem die Emoticons und die ‘Textklassifizierungen’ sind ein wichtiger Bestandteil der interkulturellen Kommunikation Online. Denn, ob ein Text z.B. als sarkastisch aufgefasst wird oder nicht, ist stark von der Kultur des jeweiligen Lesers abhängig, und kann zu schweren Missverständnissen und Unstimmigkeiten führen. Die meisten der oben aufgeführten Bedeutungssysteme dienen jeweils gleichzeitig der Verständigung und dem Markieren von Gruppenzugehörigkeit.
 
 
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5. Fazit

Die vorangehenden Betrachtungen, insbesondere anhand des Beispiels von MUDs haben gezeigt, dass im virtuellen Raum komplexe kulturelle und soziale Systeme in der Entstehung begriffen sind. Diese Systeme bieten zum Teil neuartige Sätze von kulturellen Elementen, aus denen eine Person einzelne Teile zur Konstruktion einer virtuellen Identität auswählen kann. Das Ausleben einer derartigen Identität findet in einem System von Werten, Normen und entsprechenden Sanktionen zur Durchsetzung dieser Normen statt, das von virtuellem Ort zu virtuellem Ort sehr stark variieren kann.

Eines der grundlegendsten Probleme, dem sich das soziale bei seiner Erschliessung des (textuell wiedergegebenen) virtuellen Raumes gegenübergestellt sieht, ist die Abwesenheit von grundlegendsten kulturellen Bedeutungen, anhand derer normalerweise eine Person identifiziert wird: Geschlecht, Alter, Aussehen etc. Alternative Identifizierungsmerkmale sind im Entstehen begriffen, und wurden in diesem Text ansatzweise diskutiert.

Generell liesse sich sagen, dass ein Individuum im virtuellen Raum seine Identität konstruieren kann, wo, wann, und wie immer es will. Den Bewohnern des virtuellen Raumes ist es freigestellt, ob sie als eine bestimmte Person unter einem bestimmten Namen und an einem bestimmten Ort bekannt werden wollen, oder ob sie für immer eine flüchtige Gestalt mit vielen Namen an vielen Orten bleiben wollen.
 
 
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6. Glossar

FAQ. Steht für ‘Frequently Asked Questions’: eine Auflistung von häufigen Fragen und Antworten zu einem bestimmten Thema. ‘Read the FAQs’ ist eine der goldenen Regeln der Netiquette*: der Neuling wird dazu aufgefordert, eine der FAQs, die es zu fast jedem Thema und Ort auf dem Netz gibt, zu lesen, bevor er in einem bestimmten Bereich aktiv wird.

Geek. Ein exzentriker und querdenkender Individualist mit einer starken Affinität zu den Errungenschaften der Hochtechnologie.

Das Internet, oder: das Netz. Ein weltweites Netzwerk von Computern, die mit dem sogenannten Internet-Protokoll (IP) untereinander verbunden sind. Das Internet-Protokoll regelt den Datenaustausch zwischen- und die Adressierung von zwei oder mehreren Computern auf technischer Ebene.

IRC. Die Bezeichnung für ein System, das die Kommunikation von mehreren gleichzeitig eingeloggten Personen, organisiert, dem CB-Funk ähnlich, in sogenannten channels, ermöglicht.

Log. Die Aufzeichnung eines, meist im Zusammenhang mit einer Maschine geschehenen Vorganges. Verschiedene Text-Terminals*, die als Zugangsinstrumente zu virtuellen Welten dienen können, haben eine sogenannte Log-Funktion, mit der sich alle ein- und ausgegebenen Texte zur späteren Betrachtung auf einem Datenträger speichern lassen.

Netiquette. Eine lose Sammlung von Regeln, die definieren, was im Internet an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit als angebracht oder nicht angebracht gilt.

News. Ein System, das eine Kommunikation mittels Nachrichten in thematisch organisierten Gruppen, den sogenannten Newsgroups ermöglicht.

net.sex, oder: tiny sex. Bezeichnung für sexuelle Handlungen, meist textuell beschrieben, in virtuellen Räumen.

Telnet-Protokoll. Ein Datenprotokoll, das den interaktiven Datenaustausch zwischen zwei Computern, meist zwischen einem Terminal* und einem grösseren Rechner, regelt. Das Telnet-Protokoll ist oft mit der Vorstellung von reinen Textbildschirme aus der Urzeit der Computertechnologie verbunden. Das Telnet-Protokoll gehört zur Reihe der weitverbreitetsten Protokolle im Internet: Mail (Austausch von elektronischer Post), News(Austausch von Newsgroups*), Telnet, ftp(Austausch von Dateien), http(Austausch von WWW-Seiten) und gopher(Allgemeiner Austausch von Daten in hierarchischer Struktur).

Terminal. Ein (meist simpler) Computer, der den Zugang über ein Netzwerk zu einem (komplexeren) Rechnersystem ermöglicht.

URL. Steht für ‘Universal Ressource Locator’. Eine ‘Adressangabe’ für eine Daten-Ressource. Sie umfasst, je nachdem: den Namen eines Rechners, auf dem sich die Datenressource befindet, den Ort der Ressource auf diesem Rechner, sowie das Protokoll, mit dem diese Ressource abgefragt werden kann.

Usenet. Ein lose definiertes Netzwerk von Computern, nicht alle an das Internet angeschlossen, die Newsgroups* speichern, verwalten, und untereinander austauschen.
 
 
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7. Literatur

Bis auf die Texte von Turkle und Brake stammen alle zu dieser Arbeit verwendeten Texte aus dem Internet. Alternative Publikationsformen sind, falls bekannt, angegeben. Sollten die angegebenen URLs* nicht mehr gültig sein können die Texte auch per e-mail beim Autor bezogen werden, unter der Adresse: thisischris@compuserve.com.

 
Brake, Mike (1980): "The Sociology of Youth Culture and Youth Subcultures". Routledge.
 
Dibbell, Julian (1993): "A Rape in Cyberspace - How an Evil Clown, a Haitian Trickster Spirit, Two Wizards, and a Cast of Dozens Turned a Database Into a Society". The Village Voice, December 23, 1993.  *

Kelly, Paul J. (1995): "Human identity part 1: Who are you?".  *

Kelly Paul J. (1995): "Human Identity Part 2: what Do You Do?".  *

Kelly, Paul J. (1995): "MUD's MOO's, Muses, Mushes etc. etc.".   *

Kelly Paul J. (1995): "The Ins and Outs of Personal Privacy".   *

Langham, Don (1994): "The Common Place MOO: Orality and Literacy in Virtual Reality". Compter-mediated Communication Magazine, Vol 1, July 1994.  *

Reid, Elizabeth M. (1991): "Electropolis: Communication and Community On Internet Relay Chat".  *

Reid, Elizabeth M. (1994): "Cultural Formations in Text-Based Virtual Realities".  *

Rheingold, Howard (199X): "Multi-User Dungeons and Alternate Idenities". In: H. Rheingold: The Virtual Community*

Turkle, Sherry (1995): "Aspects of the Self". In: S. Turkle: Life on the Screen. New York: Simon & Schuster, S. 177-209.

  Weitere Texte von Interesse, die aber für diese Arbeit nicht mehr berücksichtigt werden konnten:
 

Donath, Judith S. (1996): "Identity and Deception in the Virtual Community".   *
 
Hayden, Robert A. (1996): "The Code of the Geeks v3.12".  *
 
 
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Fussnoten

[1]  Wired, Oktober 1996, Seite 149
[2]  Siehe dazu: „Microsoft Morphs Into a Media Company", in: Wired, Juni 1996, Seite 127 ff.
[3]  z.B. der vom Brewster Kahle am MIT entwickelte Terabyte (1 Milliarde Gigabyte) - Speicher.
[4]  Eine derartige Idee haben schon mehrere Personen geäussert, so z.B. der Microsoft-Visionär Nathan Myhrvold und der Cyberpunk-Autor Bruce Sterling.
[5]  http://www.clsp.jhu.edu/~elizabet/
[6]  http://www.eleven.org/kablooie.html
[7]  Eine Suche über 31Mio Seiten (Altavista) fand am 7. April 1997 1Mio mal den Begriff „under construction". Zum Vergleich: „life"=5Mio, „death"=0.5Mio, „love"=2.5Mio, „hate"=0.25Mio
[8]  Siehe dazu: Kelly, P. J. „Human Identity Part 1: Who Are You?". „On the Net, we find, people are both more themselves and less themselves."
[9]  Zu Subkulturen und zur Konstruktion von Identität: Brake, M. „The Sociology of Youth Culture and Youth Subcultures".
[10]  Turkle, S. „Life on the Screen", S. 178.
[11]  Lexikon zur Soziologie.
[12]  Zi. nach Rheingold, H. „Multi-User Dungeons & Alternate Identities."
[13]  Zi. nach Dibbell, J. „A Rape in Cyberspace."
[14]  Aus:  Elizabeth M. Reid: Electropolis: Communication and Community On Internet Relay Chat

  To cite or link this text, please use the following information:  
  Author: Christoph Lüscher, Year: 1997
  Institution: University of Zurich
  Location: http://christophluescher.ch/old/Cyberseminar.html