In diesem Kapitel wird erklärt, wie die Konservierung von Leichen durch die Mumifizierung gelingen konnte. Als erstes wird kurz beschrieben, was bei der Verwesung eines Körpers geschieht. So kann nachher genauer erklärt werden, wie die Mumifizierung dagegen wirkt.

  

7.1           Der Verwesungsprozess

  
Der Abbau der organischen Stoffe in Kohlendioxid, Wasser, Ammoniak, Schwefelwasserstoff und Mineralsalze vollzieht sich in drei Phasen:   

Kaum ist ein Mensch oder Tier tot, beginnen die Bakterien und andere Mikroorganismen im Körper, die zu Lebzeiten vom Immunsystem abgewehrt wurden, sich zu vermehren und das Gewebe anzugreifen. Auch körpereigene Stoffe des Organismus, wie z.B. die Salzsäure des Magens, beginnen das Körpergewebe langsam zu zersetzen. In der zweiten Phase kommen dann noch Insekten und Würmer dazu, die sich durch den Körper fressen und ihre Eier ablegen. In einer dritten Phase zersetzen Bakterien und Pilze die „vorverdauten“ Stoffe in die oben genannten Produkte. Die Grundlage dieser Lebewesen ist Wasser, genauso wie die aller Lebewesen. Die Verwesung wird vor allem durch Feuchtigkeit und Wärme gefördert, aber auch durch gute Bodendurchlüftung und einen neutralen bis leicht basischen pH-Wert.  Bis das Körpergewebe und das Skelett vollständig zersetzt sind, dauert es unter idealen Umständen (feuchtes, warmes Klima) ungefähr 20-30 Jahre.   [1]

   

  7.2           Was bewirkt die Mumifizierung?

  

Die Mumifizierung setzt sich wie schon bekannt aus verschiedenen Schritten zusammen, von denen jeder einzelne auf eine andere Art zur Konservierung des Leichnams beiträgt.

7.2.1        Die Wirkungsweise von Natron

Die Dehydrierung in Natron ist der wichtigste Schritt der Mumifizierung; er trägt am meisten zur Konservierung bei.

Natron ist ein natürlich vorkommendes Salzgemisch, das vor allem zwischen dem heutigen Kairo und Alexandrien im nach ihm benannten „Wadi Natrûn“ in grösseren Mengen zu finden ist. Es besteht aus verschiedenen Natriumsalzen, wobei der grösste Anteil das Na2CO3 (Natriumcarbonat) ausmacht, daneben enthält es 17 % NaHCO3 (Natriumhydrogencarbonat) und ein wenig NaCl (Natriumchlorid) und Na2SO4 (Natriumsulfat).  In Ägypten beträgt der Kochsalzgehalt manchmal bis zu 50 %. [4, S. 101-105]

Alle diese Salze sind hygroskopisch (wasseranziehend) und bilden bis auf Natriumchlorid auch Kristallwasser, schliessen also Wasser in sich ein und isolieren es.

Das Natron, aufgeschichtet um den Leichnam, entzieht dem Körpergewebe Wasser durch Osmose: Da die Konzentration der Salze ausserhalb des Körper grösser ist als in den Zellen,  muss ein Konzentrationsausgleich stattfinden, wobei Wasser entzogen wird. Dieses Wasser wird dann an der Oberfläche des Körpers vom Natron aufgenommen und wird in die Kristallgitter integriert, wodurch Klumpen entstehen. Das Wasser wird so eingeschlossen, dass keine flüssige Lösung auf der Körperoberfläche entsteht. Das ist natürlich von Vorteil, da man die kristallwasserhaltigen Klumpen einfach durch wasserfreies Natron ersetzen kann. Dies ist aber oft nicht nötig: Natriumcarbonat kann bis zu 10 Wassermoleküle in eine Gittereinheit aufnehmen (Decahydrat, Na2CO3 . 10 H2O). Oberhalb von 35°C gibt es jedoch den Grossteil des Wassers ab und geht in das Monohydrat (Na2CO3 . H2O) über.  [12]

In Ägypten ist es an der Sonne oft über 35°C warm, sodass das Kristallwasser verdunstet und somit das Natron wieder Wasser aufnehmen kann. Auf diese Weise kann fast das gesamte Wasser aus dem Körper entfernt werden.

Wasser ist die Grundlage jedes Lebewesens. Durch das Entfernen dieser Grundlage können sich die Bakterien im Körper nicht vermehren und sterben zum grossen Teil ab. Dies, und die Tatsache, dass Natron an der Körperoberfläche den pH-Wert bis über 10 erhöht, so dass ein Grossteil der Bakterien abstirbt, hemmt den Verwesungsprozess. Für den Anstieg des pH-Wertes ist vor allem das Natriumcarbonat verantwortlich:

H2O  +  CO3-2    HCO3-  +  OH-

 

Zwar liegt das Gleichgewicht dieser Säure-Base-Reaktion links, es entstehen jedoch trotzdem kleine Mengen an OH--Ionen, die den pH-Wert ansteigen lassen. Bei den anderen Komponenten des Natronsalzgemisches ist dies nicht oder nur in geringem Masse der Fall.

 

Die Geschwindigkeit der Dehydrierung von Gewebe durch Natron hängt von folgenden Faktoren ab:

-          Qualität des Natrons:

-          Zusammensetzung: Der NaCl-Gehalt sollte nicht zu hoch sein, da Kochsalz kein Kristallwasser bildet und den pH-Wert nicht ansteigen lässt.

-          Wasserfreiheit: Je trockener das Natron ist, desto besser und mehr kann es Kristallwasser bilden.

-          Temperatur: Je höher die Temperatur ist, desto schneller läuft die Osmose ab. Zudem trocknet das schon feucht gewordene Natron, sodass es wieder Wasser aufnehmen kann.

-          Luftfeuchtigkeit: Bei hoher Luftfeuchtigkeit nimmt das Natron auch Wasser aus der Luft auf und kann so weniger Wasser aus dem Gewebe entfernen. Gleichzeitig kann das Kristallwasser weniger gut verdunsten, da die Luft nicht mehr viel zusätzliches Wasser aufnehmen kann.

-          Masse des Gewebes: Je grösser die Masse ist, desto länger dauert der Wasserentzug.

 

 

7.2.2        Die Wirkungsweise des harzigen Salböls

 

Das Austrocknen verhindert aber nicht, dass die Luftfeuchtigkeit die Oberfläche des ausgetrockneten Körpers später wieder anfeuchten kann, so dass Bakterien und Schimmelpilze ihn besiedeln und Insekten ihre Eier auf ihm ablegen. Er braucht also eine schützende Schicht.

Diesen Schutz bildet das harzige Salböl, mit dem der ausgetrocknete Leichnam behandelt wird. Die genaue Zusammensetzung der für die Einbalsamierung verwendeten Salböle ist nicht bekannt, doch lassen sich durch Quellen und Untersuchungen an Mumien die wichtigsten Bestandteile herausfinden. Trotzdem ist die chemische Analyse problematisch, da die Ägypter meistens Substanzgemische verarbeiteten, in denen dann die einzelnen Bestandteile im Laufe der Jahrhunderte miteinander chemisch reagierten. Wie in Kapitel 4 schon teilweise erwähnt, besteht das Salböl aus einer Basis von Tier- und Pflanzenfetten, vermischt mit geschmolzenen Koniferenharzen, Weihrauch, Myrrhe, Galbanum, Bienenwachs und manchmal Bitumen. [4, S. 104] Neueste Untersuchungen haben gezeigt, dass auch Wacholder- und Kampferöl verwendet wurden.

 

Das Salböl wird auf die Haut aufgetragen und eingerieben und verschliesst so die Poren. Die Haut, durch das Natron spröde geworden, nimmt das Öl auf und wird elastischer. Es hat eine antibakterielle und fungizide Wirkung. Ausserdem hat es einen hohen Gehalt an ungesättigten Fettsäuren, welche die Eigenschaft haben, spontan zu polymerisieren [7]; unter Lufteinwirkung oxidieren sie. Die oxidierten Zwischenprodukte verbinden sich an den Sauerstoffbindungen zu vernetzten Makromolekülen, wobei das Salböl so im Laufe der Jahre zu einer harten beständigen Schicht erstarrt. Dadurch bildet sich eine Barriere gegen Mikroorganismen und gegen Luftfeuchtigkeit und behindert so die Zersetzung der Leiche.

Das Salböl durfte jedoch nicht allzu reichlich verwendet werden wie das Beispiel der Mumie von Tutanchamun zeigt. Die Balsamierer hatten der eingewickelten Mumie zusätzlich Öl über Bauch und Brust gegossen. Im Laufe der Zeit verfestigte sich das harzige Öl, so dass es die ganze Mumie mit dem Untergrund zu einem Block verband. Um die Mumie zu untersuchen, musste sie aus ihrem Sarg gemeisselt werden, wobei sie in mehrere Stücke zerbrach. Zudem hatte das Salböl die Leinenbinden durch chemische Reaktionen so weit verkohlt, dass sie zerbröckelten als man die Mumie auswickeln wollte. [4, S.54]  

Triglycerid

Beispiele mehrfach ungesättigter Fettsäuren  

Wobei R1, R2, R3 Fettsäurefragmente sind. 

Das Salbölgemisch wird bei der Herstellung auf über 150 °C erhitzt, um die harten Bestandteile wie Harz, Weihrauch und Bienenwachs darin zu schmelzen. Dadurch werden natürliche Antioxidantien (wie zum Beispiel Vitamin E), die häufig in pflanzlichen Ölen enthalten sind, zerstört. Dies hat zur Folge, dass die Oxidation der mehrfach ungesättigten Fettsäuren beschleunigt wird, da die „Konservierungsmittel“ des Öls nicht mehr vorhanden sind. [8]

Wacholder- und Kampferöl sind jedoch von diesem Vorgang nicht betroffen, da sie sogenannte etherische Öle sind und aus verschiedenen Kohlenwasserstoffen, Alkoholen und Phenolen bestehen. Es müssen andere Fette im Salböl vorhanden sein, aufgebaut aus drei Fettsäure-Fragmenten und einem Glycerin-Fragment (Triglyceride).

Bienenwachs besteht aus ca. 70 Estern von C16 bis C36–Säure- und C24 bis C36–Alkoholfragmenten wie zum Beispiel Palmitinsäuremyricilester sowie aus Cerotinsäure, Melissinsäure und 10-15 % Paraffinkohlenwasserstoffen. [9]

Er besteht also aus langkettigen Molekülen, welche den Effekt der Barrierenbildung unterstützen; dies ist auch bei den verwendeten Harzen und bei Bitumen der Fall.

Interessant ist, dass ein Bestandteil des Salböls das in Bienenwachs enthaltene Paraffin ist, und Paraffin wird neben Formaldehydlösungen noch heute zur Konservierung von alten Gegenständen und Leichen verwendet (wie zum Beispiel Lenin oder Mao Tse Tung).

 

Das Salböl bildet also eine Barriere für Mikroorganismen; doch wie erklärt sich die antibakterielle fungizide Wirkung des Öls? Wenn man ein wenig genauer nachforscht, kommt man zu dem Schluss, dass viele Bestandteile des Salböls eine antibakterielle Wirkung haben. So wird den Koniferenharzen, Weihrauch und Myrrhe, alles Harze, die eigentlich dazu da sind, den Baum vor Eindringlingen zu schützen und als Wundverschluss dienen, eine antibakterielle Wirkung nachgesagt. Kampfer- und Wacholderöl werden heute noch in der Alternativmedizin als Heilmittel bei kleineren Beschwerden angewendet und sollen antiseptisch wirken. Dies lässt sich durch Experimente nachweisen (siehe Kapitel 12). Welche Inhaltsstoffe für diese Wirkung verantwortlich sind, daran wird z.T. heute noch geforscht; man vermutet beim Weihrauch z.B., dass bestimmte Boswelliasäuren dafür verantwortlich sind.

 

 

7.2.3        Die Wirkungsweise von Füllung, Bandagen, Särgen und Grab

Die Leibeshöhle und der Schädel der Mumie werden gefüllt, was eine Stütze von innen bildet. Die straff um den Mumienkörper gewickelten Bandagen stützen das Ganze von aussen und verhindern die Verwitterung des Körpers, indem sie keinen Spielraum freilassen und alles zusammenhalten. Wie sich bei chemischen Untersuchungen an Mumien aus Münchner Mumienbeständen herausgestellt hat, besteht die Imprägnierungssubstanz der Binden aus 30 bis 50 % Gummi arabicum (Akazienharz), 20 bis 30 % Ölen, 20 bis 30 % Bienenwachs, 10 % Soda und bis 10 % Koniferenharz. [10, S. 13] So schaffen die vielen Schichten Leinen und ihre Imprägnierung, die Särge, der Steinsarkophag und das tiefe, mehrfach versiegelte Grab stabile klimatische Verhältnisse. Es werden also Temperaturschwankungen eingedämmt und die Luftfeuchtigkeit niedrig gehalten. 

Die Kombination all dieser Massnahmen und nicht zuletzt auch das heisse und trockene Klima Ägyptens verhindern den natürlichen Fäulnis- und Verwesungsprozess des Leichnams und lassen ihn Jahrtausende überdauern.  

                 

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